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Die Toten der Villa Triste

Die Toten der Villa Triste

Titel: Die Toten der Villa Triste
Autoren: Lucretia Grindle
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er mich immer damit aufzog, wer von uns beiden stärker war.
    »Du bist nicht tot. Du bist nicht tot!«
    Dass ich das sagte, weiß ich ironischerweise noch ganz genau.
    Und ich weiß noch, dass Rico mich lachend absetzte und antwortete: »Nein, ich bin nicht tot.« Erst da sah ich mich um und bemerkte, dass noch jemand im Raum war, ein mir unbekannter, großer blonder Junge.
    Unwillkürlich fasste ich mir an die Haare. Plötzlich wurde mir peinlich bewusst, wie schmutzig meine Uniform und dass mein Armband verrutscht war.
    »Cati«, sagte Enrico, »das ist mein Freund und Offizierskollege Carlo Peralta. Carlo, meine andere Schwester Caterina.«
    »Sehr erfreut.«
    Er war einen guten Kopf größer als ich und einer der bestaussehenden Männer, die mir je begegnet waren, obwohl er, wie ich erkannte, abgelegte Sachen meines Bruders trug, die ihm an Armen und Knöcheln viel zu kurz waren. Ich weiß, man sagt das viel zu oft, aber Carlo sah tatsächlich aus wie von Gottes Hand gemeißelt. Sein Haar war fast so blond wie das von Isabella. Seine Gesichtszüge waren klar und kräftig, ohne dabei hart zu wirken. Er lächelte schnell und gern, und seine Augen waren haselnussbraun, fast golden wie die einer Katze, wie ich selbst im Halbdunkel des Wohnzimmers erkennen konnte. Ich ließ abrupt seine Hand los und drehte mich zu Rico um.
    »Aber wie seid ihr hergekommen?«, fragte ich. »Was ist passiert? Wann seid ihr angekommen?«
    Papa legte den Arm um Ricos Schultern; nebeneinander sahen sie aus wie die jüngere und ältere Version derselben Person. Isabella war ungewöhnlich ruhig und stand abwartend bei der Terrassentür.
    »Essen«, sagte Mama. Was keine Antwort auf meine Frage war. Sie streckte lächelnd die Hand aus, legte sie auf Enricos Gesicht und strich dann mit den Fingerspitzen über seine Wange, als könnte sie nicht glauben, dass er wahrhaftig heimgekehrt war. »Ich muss das Essen fertig machen.«
    Als sie das sagte, sah ich durch den offenen Bogen ins Esszimmer und merkte, dass etwas nicht stimmte. Der Tisch war nicht gedeckt; ich hörte nichts klappern, und aus der Küche dahinter roch es nicht nach Essen.
    »Wo ist Emmelina?«
    »Ich habe ihr gesagt, sie soll zu Hause bleiben«, antwortete meine Mutter, ohne dabei den Blick von Enrico zu wenden, als hätte sie Angst, dass er sich in Luft auflösen könnte, sobald sie wegsah.
    »Wir hielten das für besser.« Mein Vater schaute mich an und versuchte, mir mit seinem Blick etwas mitzuteilen, das ich nicht verstand. »Also, wer möchte etwas zu trinken?« Er klatschte in die Hände. »In der Bar findet sich bestimmt noch etwas!«
    »Ich decke den Tisch. Es gibt nur kalte Sachen«, murmelte Isabella.
    Ich folgte ihr und wartete ab, bis die Tür zu und wir außer Hörweite waren, bevor ich fragte: »Issa, was ist denn los? Wie sind sie hergekommen? Wo ist Emmelina?«
    »Ich bin heute Nachmittag bei ihr vorbeigegangen und habe ihr erklärt, dass wir sie in nächster Zeit nicht brauchen würden. Ich habe ihr gesagt, Mama hätte die Grippe und sie solle lieber nicht kommen, damit sie sich nicht ansteckt.« Issa sah mich kein einziges Mal an, während sie das sagte.
    »Wie bitte?«
    Ich konnte mich kaum erinnern, dass Emmelina einmal nicht in unserem Haus gewesen war. Sie kam selbst zu Ostern. Die Vorstellung, dass sie meine Mutter oder irgendeinen von uns nicht pflegen würde, wenn wir wirklich krank wären, war absurd.
    »Warum?«, fragte ich.
    Mama konnte kaum ein Ei kochen, und Issa war nicht viel besser. Von allem anderen abgesehen bedeutete dieses Arrangement, dass ich fortan das Abendessen zubereiten musste.
    »Issa!«, protestierte ich.
    »Herrgott noch mal, Cati!«
    Isabella wirbelte herum, eine Servierplatte in der Hand, die sie, so fürchtete ich einen Moment, gleich nach mir schleudern würde.
    »Verstehst du denn nicht?«, fauchte sie. »Sie haben ihr Regiment verlassen. Sie sind desertiert.« Sie deutete zum Wohnzimmer hin. »Falls irgendjemand sie sieht, falls irgendwer ein falsches Wort sagt …«
    »Du glaubst doch nicht, dass Emmelina …« Fassungslos sah ich Issa an. Und wütend. »Was?«, fragte ich. »Dass sie die beiden anschwärzt? Unseren Enrico? Glaubst du wirklich, Emmelina würde Enrico melden? Sie liebt ihn. Sie liebt uns alle. Sie würde nie …« Ich war entsetzt.
    »Wir dürfen kein Risiko eingehen. Sie könnte etwas ausplaudern. Vielleicht aus Versehen, aber …« Issa schüttelte den Kopf.
    Ich verzog angewidert das Gesicht. »Das ist
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