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Die Toten der Villa Triste

Die Toten der Villa Triste

Titel: Die Toten der Villa Triste
Autoren: Lucretia Grindle
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doch lächerlich.«
    »Keineswegs.« Issa sah mich an. »Keineswegs«, sagte sie wieder. »Du wirst schon sehen. Bald werden wir niemandem mehr trauen können.«
    So war das also, dachte ich. So würde die Besetzung uns alle vergiften.
    »Na schön«, sagte ich. »Und was ist mit ihm?« Ich deutete zum Wohnzimmer hin. »Was ist mit diesem – wie heißt er noch, Carlo? Wer ist er? Woher wollen wir wissen, dass er kein Nazi-Spion ist?«
    »Das ist er nicht.«
    Issa sagte das mit einer Ruhe, die darauf schließen ließ, dass sie diesen Gedanken bereits erwogen und verworfen hatte.
    »Ach ja?« Ich fuhr mir mit den Händen durchs Haar und zerrte es aus den verstaubten Haarnadeln. »Na schön, und woher weißt du das?«
    »Weil«, sagte Issa und trat an die Speisekammer, »er einer von uns ist.«
    Letztendlich war das Essen keine komplette Katastrophe. Die eigenwillige Speisenfolge verlieh dem Mahl eine leicht dionysische Atmosphäre, die dadurch verstärkt wurde, dass Papa in den Keller gegangen war und mehrere Flaschen seines besten Weins heraufgeholt hatte, während Mama den Tisch mit unserem Festtagsgeschirr und dem edlen Besteck gedeckt hatte. Während ich in der Badewanne lag, in die ich mich nach meinem Wortwechsel mit Issa zurückgezogen hatte, hatte ich beschlossen, die Angelegenheit mit Emmelina gleich morgen früh zu klären, ganz gleich, was meine Schwester dachte. Bis dahin wollte ich mich einfach nur darüber freuen, dass mein Bruder nicht nur am Leben, sondern sogar zu Hause war. Alle anderen empfanden wohl ähnlich. Wir aßen und tranken überschwänglich, während wir insgeheim damit rechneten, jede Sekunde Kommissstiefel vor unserer Haustür zu hören.
    In dieser Stimmung erzählte Enrico ihre gemeinsame Geschichte.
    Am Morgen nach der Verkündung des Waffenstillstands hatte ihr kommandierender Offizier seine Untergebenen zusammengerufen und ihnen befohlen, ihre Männer nach Hause zu schicken. Er hatte erfahren, dass die Deutschen italienische Soldaten gefangen nahmen – sie zusammentrieben und in Züge stopften, die sie nach Osten brachten, in deutsche Arbeitslager oder Gefängnisse. Nachdem Badoglio und der König in Richtung Süden geflohen waren, um hinter die alliierten Linien zu gelangen – inzwischen wussten wir, dass sie sich dort versteckten –, war das Land letztendlich ohne Regierung. Die Armee war ohne Führung. Die Offiziere waren zwar entschlossen, sich nicht den Achsenmächten zu ergeben, hatten aber keinen Plan, der es ihnen ermöglicht hätte, aufseiten der Alliierten zu kämpfen. Mit Tränen in den Augen hatte der Oberst, der sich durch den letzten Krieg sowie durch Russland gekämpft und irgendwie beides überlebt hatte, seinen Unteroffizieren erklärt, wie es um sie stand. Dass er ihnen nur noch raten konnte zu desertieren, um auf diese Weise möglichst nicht den Deutschen in die Hand zu fallen. Er hoffte, dass sie ihre Ehre bewahren und sich dem kommenden Kampf anschließen würden, so gut es ihnen möglich war.
    Innerhalb weniger Stunden hatten sich die Baracken geleert. Enrico und Carlo schafften es, in einem Zug bis nach Chiusi zu kommen. Dort hörten sie zahllose Geschichten von deutschen Soldaten, von aufständischen und wiederauferstandenen Faschisten sowie von alliierten Kriegsgefangenen – Offizieren und Soldaten, die entweder freigelassen worden waren oder sich aus dem Gefängnis gekämpft hatten, die oft kein Wort Italienisch sprachen und nun durchs Land flohen, um entweder nach Norden in die Schweiz oder nach Frankreich zu gelangen, oder um im Süden bis zu dem alliierten Brückenkopf bei Salerno durchzudringen. Angesichts dieser Schreckensgeschichten beschlossen sie, dass es am klügsten wäre, sich von Städten und Bahnhöfen fernzuhalten. Auf einem Lieferwagen gelangten sie nach Castellina und auf einem zweiten weiter bis nach Galluzzo. Von dort aus waren sie zu Fuß gegangen.
    Enrico kam mir nach, als ich eine Stunde später in den Garten ging, um mein Fahrrad zu holen und das Tor zu schließen, das ich offen gelassen hatte. Die anderen saßen auf der Terrasse, unterhielten sich leise und ließen beim Rauchen die Spitzen ihrer Zigaretten aufglühen wie Glühwürmchen, während sie auf die Lichter der Stadt schauten.
    »Cati.«
    Er griff nach dem Riegel des Schuppens, damit ich mein Fahrrad hineinschieben konnte, hielt ihn fest, bis ich wieder herausgekommen war, und schob dann den Bolzen durch das Eisen.
    »Ich wollte dir noch erzählen«, sagte er, »was ich
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