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Die Toten der Villa Triste

Die Toten der Villa Triste

Titel: Die Toten der Villa Triste
Autoren: Lucretia Grindle
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hatte ich eine Ausbildung zur Krankenschwester begonnen. Aber noch hatte ich so wenig gelernt, dass ich im Krankenhaus nicht oft gefordert wurde und es darum kein großes Problem gewesen war, zu Mamas Geburtstagsfeier zwei Tage freizubekommen. Und so brachte ich, nachdem wir uns von der Neuigkeit erholt hatten und Emmelina eingetroffen war, um zusammen mit ihrer Nichte die »schweren Arbeiten« zu erledigen, den Tag damit zu, im Haus aufzuräumen und vor allem dem Telefon möglichst nahe zu bleiben. Ich bekam immer noch keine freie Leitung, und es gingen auch keine Anrufe ein. Mama und ich waren zapplig wie zwei Katzen auf glühenden Steinen, wir sprangen jedes Mal auf, wenn wir etwas auf der Straße hörten, und rannten dann zum Fenster, weil wir hofften, dass es Enrico oder Lodo oder jemand mit einem Telegramm wäre. Aber die einzigen Besucher waren die Männer, die die Tische zusammenklappen und die Stühle mitnehmen sollten. Größtenteils waren sie mürrisch und stumm. Während die Menschen am Tag zuvor ausgelassen und sogar aufgekratzt gefeiert hatten, wirkten sie jetzt größtenteils skeptisch oder sogar verdrossen. Das Radio plapperte den ganzen Tag.
    Schließlich kamen Papa und Isabella nach Hause, allerdings deutlich später als sonst. Als wir uns zum Abendessen zusammensetzten, berichteten sie uns, was den Tag über passiert war. Doch bis dahin hatten Mama und ich es auch schon erfahren. Die Deutschen waren schneller vorgestoßen, als alle erwartet hätten. Innerhalb von gut zwölf Stunden hatten sie Padua, Bologna, Verona besetzt. Mailand würde folgen. Dann wir.
    Niemand wusste, was sich in Salerno abspielte, doch Papa hatte mit Kollegen gesprochen, die beteuert hatten, sie hätten in Rom Kanonendonner gehört. Alle rechneten mit einer zweiten Landung, vielleicht in Ostia oder sogar noch weiter nördlich – am Monte Argentario oder in Livorno. Badoglio und der König waren anscheinend verschwunden, nachdem sie den Waffenstillstand unterzeichnet hatten und aus Rom geflohen waren. Trotz aller Bemühungen hatte Papa nichts Genaueres über die Marine erfahren können. Niemand wusste, wohin die einzelnen Schiffe unterwegs waren. Er hatte auch keine freie Leitung nach Neapel bekommen und darum nichts Neues über Enrico zu berichten. Gerüchten zufolge wollten die rund um Rom stationierten Divisionen versuchen, die Stadt zu verteidigen, aber nachdem das Land allem Anschein nach keine Regierung mehr hatte, wusste niemand, wer die Truppen eigentlich befehligte.
    Als Mama das hörte, stand sie, ohne ihren Teller angerührt zu haben, abrupt vom Tisch auf. Aus dem Wohnzimmer hörten wir das Klacken der Barschranktür, dann das Klirren einer Flasche und eines Glases. Daraufhin verstummte auch Papa und schob das Essen auf dem Teller hin und her. Ich zerschnitt eine Kartoffel in immer kleinere Stückchen. Nur Isabella aß, methodisch und ohne ein Wort zu sprechen, fast wie ein Pferd.
    Sie würde, eröffnete sie mir nach dem Essen, mit einer Gruppe von Freunden zu einem »Treffen« gehen. Als ich sie fragte, worum es bei diesem Treffen ging, zuckte sie mit den Achseln und meinte: »Nichts.« Was, wie ich annahm, mit einem Streifzug durch die Cafés rund um San Marco gleichzusetzen war. Ein- oder zweimal war ich abends mitgegangen. Aber die meisten ihrer Freunde kannte sie aus der Bergsteigergruppe an ihrer Universität – diese spezielle Leidenschaft teilte sie mit meinem Vater und meinem Bruder –, und die waren mir zu munter und kraftstrotzend.
    »Gehst du bitte an die Tür, ja?«, sagte Issa. »Wenn Massimo kommt? Ich hole nur schnell meinen Mantel.«
    »Du gehst mit Massimo aus?«
    Wir standen im Flur. Sie zuckte die Achseln und eilte die Treppe hinauf. »Wir fahren alle mit ihm«, erklärte sie. »Er hat ein Auto.«
    Und Benzin zum Tanken, so hatte es den Anschein. Ich war Massimo bisher höchstens zweimal begegnet. Er war zwei Semester über Issa – und da er Maschinenbau studierte, hatte er sich offenbar davor drücken können, von seinem Vaterland in den Tod geschickt zu werden. Seine Familie kam aus der Gegend um Siena und besaß dort Land, ziemlich viel Land sogar. Er hatte eine Statur wie ein Stier, war laut und rechthaberisch und hatte ein dröhnendes, selbstbewusstes Lachen. Die anderen begegneten ihm mit einer gewissen Ehrfurcht. So wie ich es sah, war er es gewohnt, alles zu bekommen, was er wollte. Benzin eingeschlossen.
    Die Türglocke schlug an, und ich öffnete gehorsam, wenngleich ich mich still
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