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Die Toten der Villa Triste

Die Toten der Villa Triste

Titel: Die Toten der Villa Triste
Autoren: Lucretia Grindle
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offenen Vorhänge fiel.
    »Ich versuche gerade, Lodo zu finden.«
    Ich war nicht sicher, ob die Worte tatsächlich über meine Lippen kamen. Falls ja, dann höchstens als Hauch.
    Papa schloss die Tür und trat ins Zimmer. Er lächelte, aber sein Gesicht verschwamm in Sorge. Er beugte sich vor und nahm mir das Telefon aus der Hand. Mein Vater setzte den Hörer zurück auf die Gabel, dann legte er die Hand auf meinen Scheitel und strich mir über den zerzausten Schopf, der längst den Haarnadeln und den Perlmuttklammern entkommen war, mit denen ich ihn zu zähmen versucht hatte.
    »Morgen«, sagte er. »Wenn wir heute Abend nicht mehr von ihm hören, erhalten wir morgen bestimmt eine Nachricht.«
    Ich schloss die Augen und ließ den Kopf gegen Papas Hüfte sinken. Das Leinen des Jacketts kratzte an meiner Wange.
    »Papa«, sagte ich schließlich.
    »Ja, mein Liebes?«
    »Kommen jetzt die Deutschen?«
    »Die sind schon hier.«
    Ich wusste, dass ich wie ein Kind klang und ganz und gar nicht wie eine Zweiundzwanzigjährige kurz vor der Hochzeit, aber ich konnte nicht anders. Ich sah zu ihm auf.
    »Nein, ich meine hierher«, sagte ich. »Nach Florenz. Glaubst du, sie werden uns besetzen?«
    Das Schweigen meines Vaters schien kein Ende nehmen zu wollen. Doch dann sagte er: »Ja, Cati. Ich glaube, das werden sie.«
    An diesem Abend standen Isabella und ich zwischen unseren Eltern, um die eintreffenden Gäste zu begrüßen. Das Abendessen wurde auf der Terrasse von den Frauen serviert, die als Aushilfen gekommen waren und jetzt alle in gestärkten weißen Schürzen steckten, die Emmelina irgendwo organisiert hatte. Dann, kurz vor acht Uhr, hörten die Musikanten zu spielen auf, es wurde Sekt ausgeschenkt, und alle begaben sich ins Wohnzimmer, wo wir uns um das große Radio versammelten, um uns anzuhören, wie der Premierminister das verkünden würde, was alle schon wussten. Dass die italienische Regierung den Oberbefehlshaber der alliierten Truppen, General Eisenhower, um einen Waffenstillstand ersucht hatte und dass die Bitte gewährt worden war.
    Während Badoglio sprach und seine Stimme aus dem Radio waberte, blieb es totenstill im Raum. Infolgedessen, verkündete er, würden die italienischen Truppen sofort alle feindseligen Akte gegen die Alliierten einstellen.
    Dann verkündete die BBC, dass die Schiffe der italienischen Marine den Befehl bekommen hatten, den jeweils nächsten alliierten Hafen anzulaufen. Issa stand neben mir. Unwillkürlich fasste sie nach meiner Hand.
    Das Streichquartett, das wir engagiert hatten, bestand aus vier alten Männern mit makellosen, wenn auch abgewetzt glänzenden weißen Fliegen und Fräcken. Doch das Alter war den Musikanten nicht anzumerken, denn nach der Radioansprache wurden die Stücke immer wilder. Hoch und schnell wie in einem Zigeunerstück wurden die Akkorde in strahlenden, brandenden Wellen von den Saiten geschleudert. Sektkorken knallten. Unten in der Stadt begannen die Glocken zu läuten. Ein paar Minuten darauf wurden Raketen gezündet. Ich stand an der Terrassenmauer und schaute zu, wie die grellen Farben kreiselnd in den Himmel schossen, zwischen den Zweigen der Bäume in unserem Garten hindurchzuckten und sich zwischen den vereinzelten Sternen verloren.
    Erst weit nach Mitternacht leerte sich die Terrasse, und nur ein paar Tische voller Krümel und leerer Gläser blieben zurück. Ein paar von Papas Freunden, Universitätskollegen, waren noch geblieben. Als ich nach oben ging, blieb ich kurz auf der Treppe stehen und lauschte dem Auf und Ab der Stimmen, das in Wellen durch die geschlossene Tür seines Arbeitszimmers drang. Insgeheim hätte ich am liebsten die Tür einen Spaltbreit aufgeschoben und mich in die sichere, ernste Welt der Männerstimmen und qualmenden Zigarren geschlichen. Mein Vater hatte mich nie aus dem Zimmer geschickt, sondern immer zugelassen, dass wir an seinen Gesprächen teilhatten. Ich blieb kurz stehen. Dann merkte ich, dass ich zu müde war, schlüpfte aus den Schuhen und huschte nach oben.
    Die Vorhänge vor dem Fenster am Ende des Flurs waren zugezogen, aber unter meiner Tür lag ein Lichtstreifen. Ich nahm an, dass ich die Lampe auf der Kommode angelassen hatte, drückte die Tür auf und wäre um ein Haar über Isabellas Kleid gestolpert. Sie hatte es abgestreift wie eine alte Haut. Hatte es auf den Boden fallen lassen und war dann in mein Bett gekrochen. Die Decke hatte sie bis zur Nasenspitze gezogen. Ein Seidentuch aus Haaren lag ausgebreitet
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