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Die Akte Daniel (German Edition)

Die Akte Daniel (German Edition)

Titel: Die Akte Daniel (German Edition)
Autoren: She Seya Rutan , Neko Hoshino
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    Ein Vorort von Manchester, England
     
     
    Daniel hielt sich den Kopf, der mehr als sonst schmerzte.
    Er wiegte sich im Takt der Schläge aus dem Nachbarhaus. Es wurde grundsaniert und die Bohrhämmer arbeiteten schon seit über einem Monat von früh morgens bis spät abends. Das Haus, in dem er lebte, war hingegen alt und überall rieselte der Putz von der Wand. Das Treppenhaus roch muffig und nass und die Wand, an der er lehnte, war kalt. Doch das Haus war der einzige Ort, an dem er für einen Moment sitzen konnte und wo man ihn in Ruhe ließ.
    Ihm war schwindlig und er war nicht zur Schule gegangen. Sein Vater würde ihn schlagen, wenn er davon erfuhr. Aber im Grunde war es seinem Vater egal, ob Daniel die Schule besuchte oder nicht. Er wollte nur nicht damit belästigt werden, wenn der Lehrer ihn als Daniels einzig greifbares Elternteil sprechen wollte.
    Daniel kämpfte mit den Tränen. Die Stimmen wurden lauter und es dauerte immer lange, bis sie endlich wieder leiser wurden.
    Daniel wünschte sich, es würde etwas nützen, wenn er sich die Ohren zuhielte, aber die Stimmen waren immer um ihn, auch wenn da überhaupt niemand war. Wenn er Glück hatte und sich ganz fest auf etwas anderes konzentrierte, dann wurden sie leiser. Aber das hielt er nie lange durch. Konzentration war nichts, was er je vernünftig gelernt hatte. Allein das Wort war ja schon zum Kopfzerbrechen und verursachte bei ihm Schmerzen.
    Daniel atmete tief ein und aus.
    Er hatte wie oft auch in der Nacht schlecht geschlafen, war gegen zwei Uhr einfach aufgestanden und durch die Gegend gewandert. Im Grunde keine kluge Idee, aber er war ja mit seinen vierzehn Jahren alt genug, um auf sich selbst aufpassen zu können.
    Über ihm knallte jemand die Tür zu. Er hörte die schon bekannte, heisere Stimme des Inders, der eine Etage unter ihnen wohnte. Er prügelte seine Frau und seine Kinder. Doch jetzt lief er nur laut fluchend die Treppe hinunter und beschimpfte auch Daniel, der ihm seiner Meinung nach im Wege war. Daniel rutschte zur Seite. Die Bilder, die er von dem Mann empfing, taten ihm weh. Er atmete tief durch, um den Schmerz zu ertragen.
    Da war nur Hass und Wut, der Wunsch nach einem Bier und einer Zigarette, und warum er seine Frau nicht längst rausgeworfen hatte und die Bälger ...
    Daniel hörte, wie die Haustür aufgerissen wurde und die Schritte des Mannes draußen verklangen. In seinem Kopf wurde es wieder etwas ruhiger.
    Nicht zum ersten Mal fragte Daniel sich, ob er nicht verrückt war oder es in solchen Momenten wurde. Warum glaubte er, die Gedanken der Menschen um sich herum zu hören, und das mit solcher Intensität, dass es schmerzte? Halluzinationen , Stimmen hören , nannte man das wohl auf schlau. Und solche Leute wurden gewöhnlich von den Männern in den weißen Kitteln abgeholt.
    Daniel zitterte. Ihm war schlecht. Er hatte gestern das letzte Mal etwas gegessen und jetzt rächte sich das. Ein Schwall alten Fettes von der Imbissbude nebenan kam durch die kurz geöffnete Tür, hüllte ihn ein und ließ ihn würgen. Fisch und Chips.
    Daniel schluckte und stemmte sich die Wand hoch. Er suchte in seiner Hose. Ganze vier Pfund hatte er noch. Das war sein letztes Geld. Drei Pfund neunzig kostete eine Portion. Das war billig. Billiger als in der Stadt, aber dafür war es auch schlechter.
    Daniel humpelte die Treppe hinunter. Egal wie sein Kopf schmerzte, wenn er nicht aß, würde er es noch mehr bereuen.
    Kaum hatte er die schwere, zerkratzte Haustür geöffnet, musste er die Augen zusammenkneifen. Der Himmel war weiß und bedeckt und viel zu hell. Daniel steckte die Hände in die Hosentaschen und ging die Straße hinunter. Weit war es nicht zur Imbissbude. Ein paar magere Katzen zischten miauend an ihm vorbei und sprangen die Mülltonnen hoch in der Hoffnung, Reste zu ergattern.
    Daniel mochte Tiere; sie waren weitaus einfacher zu ertragen als Menschen und redeten auch nicht soviel. Weder mit ihrem Mund noch in ihren Gedanken.
    In der Bude stand wie üblich in eine fleckige Schürze gewickelt Mrs. Dalton und lockerte lustlos die Pommes im heißen Fett auf. »Na Daniel, das Übliche?«, begrüßte sie ihn.
    »Ja, bitte«, flüsterte er. Laut sprechen war in seinem jetzigen Zustand kaum möglich. Aber Mrs. Dalton wusste auch so, was er wollte.
    Er legte die Münzen auf die Theke und sie gab ihm seine Portion. Wacklig setzte sich Daniel an einen der schmalen Tische und aß langsam. Es musste für eine lange Zeit
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