Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Meine Cousine Emilia: Roman (German Edition)

Meine Cousine Emilia: Roman (German Edition)

Titel: Meine Cousine Emilia: Roman (German Edition)
Autoren: Vlada Urosevic
Vom Netzwerk:
D REI W ÜNSCHE
    Meine frühesten Erinnerungen an Emilia sind mit dem Auftauchen der Elefanten in unserer Stadt verbunden. Oder besser gesagt mit den Elefanten und den toten Pferden. Die Elefanten waren natürlich ungewöhnlicher. Die Pferde hatten weiße, starre Augen, ihre Zähne waren gebleckt. Auf einem Auge landete eine große grüne Fliege. Ich erinnere mich, dass Emilia niederkniete, die Fliege verscheuchte und das Auge mit einer Blume bedeckte, die sie in einem Garten gepflückt hatte.
    Doch wo und wie war Emilia aufgetaucht? Mein Gedächtnis ist nicht ganz zuverlässig, die Abfolge der Ereignisse gerät bisweilen durcheinander, später wurden widersprüchliche Versionen erzählt, die Fotografien aus dem Familienalbum geben ebenso wenig Aufschluss wie Opa Simons Aufzeichnungen. Manchmal denke ich sogar, dass es Emilia dank einer nur ihr eigenen Fähigkeit gelungen ist, die Erinnerungen zu einem unentwirrbaren Knäuel zu verwickeln und die Vergangenheit unleserlich und unentzifferbar werden zu lassen.
    Manchmal scheint es mir, als hätte ich sie vor dem Krieg nie gesehen, aber das kann nicht als gesichert gelten– ich war damals noch klein, und in meiner Erinnerung nehmen dieEreignisse Dimensionen an, die nicht der Realität entsprechen: Einem kleinen Schächtelchen wird darin mehr Raum zugebilligt als der Zerstörung ganzer Stadtviertel. Doch mit Beginn des Krieges wird das Bild meiner Cousine Emilia zweifellos deutlicher und schärfer.
    In jenen ersten Kriegstagen, als das Haus sich ständig füllte und wieder leerte, als sich dort bekannte und unbekannte Menschen die Klinke in die Hand gaben, als sich aus allen HimmelsrichtungendieunglaublichstenNachrichtenwiebunte Schmetterlinge in ihm niederließen, als die Gespräche jedes Mal abbrachen, wenn die Tür sich öffnete, und als alles – Schlafengehen, Aufstehen, Essen – durcheinandergeraten war, herausgerissen aus dem gewohnten Ablauf (was gleichermaßen fantastisch und schrecklich war), stellten sich bei uns auch Verwandte ein, die ich, wie mir schien, noch niemals zuvor gesehen hatte. Sie waren zurückhaltend und auf eine abwesende Art liebenswürdig, mit einer gewissen Verlorenheit im Blick: ein unrasierter Mann mit Brille, in dessen Miene etwas zugleich Verzweifeltes und aufgesetzt Lustiges lag, eine Frau, die ständig Krimskrams aus einem Behältnis in ein anderes umfüllte – sie nahm etwas aus dem einen heraus und legte es dann in einer bestimmten Anordnung in das andere, nur um es sich im nächsten Augenblick anders zu überlegen und wieder von vorne zu beginnen, jetzt anders herum –, und ein Mädchen, das ohne zu blinzeln in die Betrachtung einer aus einer Illustrierten ausgeschnittenen und in einem alten Bilderrahmen an der Wand der Diele aufgehängten Fotografie von Elefanten versunken war.
    »Das sind afrikanische Elefanten«, sagte ich schulmeisterlich. Und stolz auf mein Wissen fügte ich hinzu: »Sie unterscheidensich von denen aus Indien.« Ich fühlte mich ihr überlegen: Sie mochte gerade einmal acht Jahre alt sein, und ich war schon elf.
    »Sind sie lebendig?«, fragte sie plötzlich.
    Ihre Frage verwirrte mich. Ich verstand nicht ganz, was sie meinte.
    »Na ja, es ist ja eine Fotografie, also müssen sie lebendig sein«, sagte ich. »Sie sind fotografiert worden, verstehst du? Nicht gezeichnet.«
    »Ich mag lebendige Elefanten lieber als fotografierte Elefanten«, sagte sie schlicht, sah mich an und errötete.
    In diesem Augenblick kamen Nachbarn ins Haus gestürzt und schrien, der Himmel sei voller Flugzeuge. Alle liefen hinaus und beschirmten die Augen mit ihren Handflächen: In den Tiefen des Himmels blitzten gerade noch sichtbar die winzigen, leuchtenden, spindelförmigen Flugzeuge. Um sie herum blühten die weißen Wölkchen der Flugabwehr auf.
    »Hör mal«, sagte ich zu Emilia, die noch immer die Elefanten auf der Fotografie betrachtete, »in einer Straße hinter unserem Haus liegen zwei tote Pferde. Die wurden mit Maschinengewehren vom Flugzeug aus erschossen. Möchtest du sie sehen?«
    Ich konnte ja nicht ahnen, zu welch unvorhersehbaren Abenteuern meine Aufforderung führen und wie rasch Emilia diejenige sein würde, die mich zu einer Reise ins Unbekannte aufforderte und der ich gehorsam folgte. Doch in jenem Augenblick begann die Kette unglaublicher Ereignisse, von denen zu erzählen ich versuchen werde – wobei mir vollkommen bewusst ist, wie unglaubwürdig sie klingen müssen.
    Von den anderen unbemerkt gingen Emilia
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher