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Die Tote ohne Namen

Die Tote ohne Namen

Titel: Die Tote ohne Namen
Autoren: Patricia Cornwell
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mit dem Tempo der Unterhaltung. Das Sprechen war eine Anstrengung.
    »Der Dreckskerl reibt es uns unter die Nase.«
    »Ich glaube nicht, daß das der einzige... «
    »Jetzt will er, daß wir wissen, daß er in New York ist...«
    »Marino, laß mich ausreden. Benton? Die Symbolik?«
    »Er könnte die Leichen auf unzählige Arten zur Schau stellen. Aber bislang hat er sich immer für die gleiche entschieden. Er setzt sie aufrecht hin. Das ist Teil seiner Phantasie.«
    »Welcher Phantasie?«
    »Wenn ich das wüßte, Pete, würden wir jetzt vielleicht nicht in diesem Helikopter sitzen.«
    Etwas später ergriff der Pilot das Wort. »Wir haben von der FAA ein SIGMET empfangen.«
    »Was zum Teufel ist das?« fragte Marino.
    »Eine Warnung vor Turbulenzen. In New York City ist es windig, die Windgeschwindigkeit beträgt 27 Knoten, in Böen an die 37.«
    »Heißt das, wir können nicht landen?« Marino, der es haßte zu fliegen, klang etwas panisch.
    »Wir werden tief fliegen, der Wind geht in größerer Höhe.«
    »Was heißt hier tief? Haben Sie schon mal gesehen, wie hoch die Häuser in New York sind?«
    Ich langte zwischen meinem Sitz und der Tür nach hinten und tätschelte Marinos Knie. Wir befanden uns 40 Seemeilen vor Manhattan, und ich konnte mit Mühe das Licht erkennen, das auf dem Empire State Building blinkte. Der Mond war riesengroß, Flugzeuge flogen von und nach La Guardia wie schwebende Sterne, und aus Schornsteinen stieg Rauch auf wie große, weiße Federn. Durch das Fenster zu meinen Füßen konnte ich den zwölfspurigen Verkehr auf dem New Jersey Turnpike erkennen, und überall funkelten Lichter wie Juwelen, als ob Faberge die Stadt und ihre Brücken entworfen hätte.
    Wir flogen an der Freiheitsstatue und an Ellis Island vorbei, wo meine Großeltern ihren ersten Eindruck von Amerika bekommen hatten: eine überfüllte Einwanderungsbehörde an einem eiskalten Winterabend. Sie hatten Verona verlassen, wo es für meinen Großvater, den vierten Sohn eines Eisenbahnarbeiters, keine Zukunft gegeben hatte.
    Ich stammte von energischen, hart arbeitenden Leuten ab, die zu Beginn des 19. Jahrhunderts aus Österreich und der Schweiz nach Italien ausgewandert waren und denen ich mein blondes Haar und meine blauen Augen verdankte. Obwohl meine Mutter immer wieder versicherte, daß unsere Vorfahren unser italienisches Blut rein erhielten, als Napoleon I. Verona an Österreich abtrat, war ich nicht davon überzeugt. Ich vermutete, daß es genetische Ursachen für meine mehr teutonischen Züge gab.
    Macy's, Reklametafeln und der goldene Torbogen von McDonald's tauchten auf, als sich New York materialisierte, und der aufgetürmte Schnee auf Parkplätzen und Gehsteigen sah sogar aus der Luft schmutzig aus. Wir floge n um den VIP-Heliport in der 30. Straße West und wirbelten das schlammige Wasser des Hudson auf. Dann schwebten wir auf einen Landeplatz neben einem glänzenden Sikorsky S-76, der alle anderen Hubschrauber wie graue Mäuse aussehen ließ.
    »Passen Sie auf den hinteren Rotor auf«, sagte der Pilot.
    In einem kleinen, nur mäßig warmen Gebäude begrüßte uns eine Frau in den Fünfzigern mit dunklem Haar, einem intelligenten Gesicht und müden Augen. Sie trug einen dicken Wollmantel, Hose, Schnürstiefel und Lederhandschuhe und stellte sich als Commander Frances Penn von der New Yorker Transit Police vor.
    »Vielen Dank, daß Sie gekommen sind«, sagte sie und schüttelte jedem von uns die Hand. »Wenn Sie soweit sind draußen warten Autos.«
    Sie führte uns zurück in die bittere Kälte, wo zwei Streifenwagen der Polizei mit laufendem Motor und eingeschalteten Heizungen warteten, in jedem saßen zwei Beamte. Es gab einen peinlichen Augenblick, als wir die Türen öffneten und entschieden, wer mit wem fuhr. Wie sooft in solchen Fällen gab das Geschlecht den Ausschlag, und Commander Penn und ich fuhren gemeinsam. Ich stellte ihr Fragen über die juristische Zuständigkeit, denn in einem so bedeutenden Fall wie diesem gab es viele Leute, die meinten, er fiele in ihren Bereich.
    »Die Transit Police ist interessiert an dem Fall, weil wir annehmen, daß das Opfer den Täter in der Subway getroffen hat«, erklärte Frances Penn, die einer der drei Commander des sechstgrößten Police Departments der USA war. »Das war gestern am späten Nachmittag.«
    »Woher wissen Sie das?«
    »Es ist ziemlich faszinierend. Einer unserer Beamten in Zivil war auf Patrouille in der Station an der 81. Straße/Central Park West, und
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