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Die Tote ohne Namen

Die Tote ohne Namen

Titel: Die Tote ohne Namen
Autoren: Patricia Cornwell
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ihm in die Hocke und sah mir ebenfalls die Fußspuren an. Das im Schnee deutlich zu erkennende Muster des Profils war auffällig. Gault hatte Schuhe getragen mit einem komplizierten, erhabenen, rhombischen und gewellten Profil, dem Fabrikatsstempel im Spann und einem kranzförmigen Logo im Absatz. Die Schuhgröße schätzte ich auf 40 1/2 oder 41.
    »Wie sind die Spuren gesichert?« fragte ich Commander Penn.
    Inspektor O'Donnell antwortete. »Wir haben die Abdrücke fotografiert, und dort drüben« - er deutete auf eine Gruppe Polizisten auf der anderen Seite des Brunnens -»sind noch bessere. Wir versuchen, einen Abdruck zu machen.«
    Einen Abdruck von einer Fußspur im Schnee zu machen war eine riskante Angelegenheit. Wenn der flüssige Dentalgips nicht kalt genug ist und der Schnee nicht hart genug gefroren, bringt man das Indiz zum Schmelzen. Wesley und ich standen auf. Schweigend gingen wir zu den Polizisten auf der anderen Seite des Brunnens, und überall, wohin ich blickte, sah ich Gaults Spuren.
    Daß er unverwechselbare Schuhabdrücke hinterlassen hatte, war ihm gleichgültig. Daß er im Park eine unübersehbare Spur hinterlassen hatte, der wir gewissenhaft bis zu ihrem Ende folgen würden, war ihm gleichgültig. Wir waren entschlossen, jeden Ort ausfindig zu machen, an dem er sich aufgehalten hatte, aber auch das kümmerte ihn nicht. Er glaubte nicht, daß wir ihn schnappen könnten.
    Die Polizisten auf der anderen Seite des Brunnens besprühten zwei Schuhabdrücke mit einem Wachsspray. Sie hielten die Dosen in sicherem Abstand und so angewinkelt, daß das unter hohem Druck stehende rote Wachs die feinen Details des Profils nicht zerstörte. Ein anderer Polizist rührte in einem Plastikeimer mit flüssigem Dentalgips.
    Sobald mehrere Schichten Wachs aufgesprüht wären, mußte der Dentalgips kalt genug sein, um ihn darüber zu gießen und einen Abdruck zu machen. Die Bedingungen für diese heikle Prozedur waren gut. Weder schien die Sonne, noch wehte Wind, und offensichtlich hatten die Leute von der New Yorker Spurensicherung das Wachs vorschriftsgemäß bei Zimmertemperatur aufbewahrt, da es den Druck nicht verloren hatte. Die Sprühdüse spuckte nicht, das Wachs klumpte nicht wie bei anderen Versuchen, deren Zeugin ich in der Vergangenheit gewesen war.
    »Vielleicht haben wir diesmal Glück«, sagte ich zu Wesley, als Marino auf uns zukam.
    »Wir werden alles Glück der Welt brauchen«, sagte er und starrte zu den dunklen Bäumen.
    Östlich von uns lag das fünfzehn Hektar große Gebiet, das als The Ramble bekannt war, eine abgelegene Gegend mitten im Central Park, berühmt für die vielen Vogelarten, die dort nisteten, und für die gewundenen Pfade durch dicht bewachsenes, felsiges Terrain. Alle Führer, die ich jemals in der Hand gehabt hatte, rieten Touristen dringend davon ab, zu irgendeiner Tages- oder Jahreszeit in The Ramble einsame Wanderungen zu unternehmen. Ich fragte mich, wie Gault sein Opfer in den Park gelockt hatte, wo er sie kennengelernt und was ihn zu der Tat veranlaßt hatte. Vielleicht war es einfach nur die Gelegenheit gewesen, die er beim Schöpf gepackt hatte, weil er in der Stimmung gewesen war.
    »Wie kommt man von The Ramble hierher?« fragte ich alle, die mir zufällig zuhörten.
    Der Polizist, der in dem Dentalgips rührte, blickte mich an. Er war ungefähr so alt wie Marino und hatte feiste, von der Kälte gerötete Wangen.
    »Am See entlang führt ein Weg«, sagte er, sein Atem dampfte.
    »An welchem See?«
    »Man kann ihn jetzt schlecht erkennen. Er ist zugefroren und mit Schnee bedeckt.«
    »Wissen Sie, ob das der Weg ist, den sie genommen haben?«
    »Das ist ein großer Park, Ma'am. An den meisten Stellen, wie zum Beispiel The Ramble, ist der Schnee zusammengetreten. Von da hält nichts - nicht einmal drei Meter Schnee die Leute ab, die hinter Drogen oder Sex her sind. Hier bei Cherry Hill ist es anders. Hier dürfen keine Autos fahren, und bei diesem Wetter kommen auch die Reiter nicht bis hierher. Deshalb haben wir Glück gehabt. Wir haben einen echten Tatort.«
    »Warum glauben Sie, daß der Täter und sein Opfer bei The Ramble waren?« fragte Wesley, der Fragen immer direkt und prägnant formulierte, wenn sein kriminalistischer Geist seine ehrfurchterregende Datenbasis absuchte.
    »Einer von uns glaubt, daß er einen Schuhabdruck von ihr dort drüben gesehen hat«, sagte der Beamte, der anscheinend gern redete. »Das Problem ist nur, wie Sie sehen, daß ihre Spuren
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