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Die Tote ohne Namen

Die Tote ohne Namen

Titel: Die Tote ohne Namen
Autoren: Patricia Cornwell
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aufschlugen. Meine Füße stießen gegen Unrat, und es polterte, wenn Gegenstände aus Metall oder Glas umfielen.
    Ich hielt das Gewehr vor mich, um meinen Kopf gegen irgendwelche Vorsprünge zu schützen, die ich nicht sah. Es roch nach Schmutz und Exkrementen und verbranntem Fleisch. Je weiter ich ging, um so intensiver wurde der Gestank. Und dann wurde es plötzlich hell, als ein Zug auf dem Gleis Richtung Norden vorbeifuhr. Temple Gault war keine drei Meter mehr von mir entfernt.
    Er hatte Lucy im Würgegriff und hielt ihr ein Messer an die Kehle. Neben ihnen lag Detective Maier auf der dritten, stromführenden Schiene, mit geballten Fäusten und zusammengebissenen Kiefern, während Elektrizität durch seinen Körper strömte. Der Zug war verschwunden, es herrschte wieder Dunkelheit.
    »Laß sie gehen.« Meine Stimme zitterte. Ich schaltete die Taschenlampe ein.
    Gault blinzelte und schirmte seine Augen mit der Hand ab. Er war so blaß wie ein Albino, und ich sah die kleinen Muskeln und die Sehnen seiner bloßen Hand, in der er das Seziermesser aus Stahl hielt, das er mir gestohlen hatte. Mit einer schnellen Bewegung konnte er Lucys Hals bis zur Wirbelsäule durchschneiden. Sie starrte mich aus vor Todesangst weit aufgerissenen Augen an.
    »Du willst nicht sie.« Ich trat einen Schritt näher.
    »Schein mir mit der Lampe nicht ins Gesicht«, sagte er. »Mach sie aus.«
    Ich schaltete die Taschenlampe nicht aus, sondern legte sie vorsichtig auf einen Mauervorsprung, von wo aus sie Detective Maier direkt in das verbrannte blutige Gesicht schien. Gault verlangte nicht, daß ich mein Gewehr weglegte, und das wunderte mich. Vielleicht sah er es nicht. Ich hielt es so, daß der Lauf nach oben zeigte. Ich war jetzt noch gut anderthalb Meter von ihm entfernt.
    Gaults Lippen waren aufgerissen, und er schniefte laut. Er sah ausgezehrt und ungepflegt aus, und ich fragte mich, ob er high war oder die Wirkung des Cracks bereits nachließ. Er trug Jeans, die Armeestiefel und eine zerkratzte schwarze Lederjacke. Im Revers steckte die Nadel mit dem Äskulapstab, die er kurz vor Weihnachten in Richmond gekauft hatte.
    »Mit ihr macht es dir keinen Spaß.« Meine Stimme zitterte immer noch.
    Seine unhe imlichen Augen schienen mich zu fixieren, während Blut Lucys Hals hinunterlief. Ich griff das Gewehr fester.
    »Laß sie gehen. Dann sind nur noch du und ich da. Ich bin es, die du willst.«
    Licht funkelte in seinen Augen, und ich konnte im Halbdunkel fast ihre merkwürdige blaue Farbe sehen. Plötzlich versetzte er Lucy einen heftigen Stoß, und sie fiel auf die dritte Schiene zu. Ich griff nach ihr, bekam ihren Pullover zu fassen, zog sie zu mir und gemeinsam stürzten wir zu Boden. Mein Gewehr schlug klappernd auf der stromführenden Schiene auf. Es knallte, Funken sprühten.
    Gault lächelte, warf das Messer weg und hielt meine Browning in den Händen. Er zog den Schieber zurück, nahm die Pistole in beide Hände und zielte mit dem Rohr auf Lucys Kopf. Er war seine Glock gewöhnt und schien nicht zu wissen, daß die Browning eine Sicherung hatte. Er drückte auf den Abzug, und nichts geschah. Er kapierte es nicht.
    »Lauf!« schrie ich Lucy an und stieß sie weg von mir. »Lauf!«
    Gault versuchte, den Abzug zu spannen, der jedoch bereits gespannt war. Wütend drückte er ab, aber die Pistole war gesichert, und nichts geschah.
    »LAUF!« schrie ich.
    Ich blieb auf dem Boden liegen und versuchte nicht wegzulaufen, weil ich glaubte, daß er Lucy nicht verfolgte, wenn ich dabliebe. Gewaltsam zog er den Schieber ab und schüttelte die Waffe, während Lucy zu schluchzen anfing und davontaumelte. Das Messer lag neben der dritten Schiene, und ich griff danach, während eine Ratte über meine Beine lief und ich mich an einer Glasscherbe schnitt. Mein Kopf lag gefährlich nahe an Gaults Füßen.
    Er kam mit der Pistole nicht zurecht, und ich merkte, wie er sich anspannte, als sein Blick auf mich fiel. Mir war klar, was er dachte, und ich schloß meine Hand fest um den kalten Messergriff. Ich wußte, wozu er mit seinen Füßen im Stande war, und ich hatte keine Zeit, aufzustehen und ihm das Messer in die Brust oder in den Hals zu stoßen. Ich war auf den Knien und hob die Hand mit dem Messer, als er in Stellung ging, um zuzutreten, und ich rammte ihm das Seziermesser in den Oberschenkel. Mit beiden Händen stieß ich so tief zu, wie ich nur konnte, während er aufheulte.
    Helles Blut spritzte mir ins Gesicht, als ich das Messer
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