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Angst

Titel: Angst
Autoren: Catherine Coulter
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KAPITEL 1
    Winkel’s Cave Maestro, Virginia Freitagnachmittag
    Ruth Warnecki hielt inne und warf einen Blick auf die Karte, obwohl sie sie bereits so oft in Händen gehalten hatte, dass sie abgegriffen, fleckig und an einer Ecke sogar voller Erdbeermarmelade war. Okay, sie war diesen gewundenen Gang nun genau die auf der Karte eingezeichneten vierzehn Meter entlanggegangen und -gekrochen. Sie hatte die Entfernung sorgfältig abgemessen, so wie jeden Streckenabschnitt, seitdem sie in den ersten Gang geklettert war, der am Ende des Höhleneingangs abzweigte. Es war ein enger Gang mit zahlreichen Biegungen gewesen, der stark nach Fledermauskot gerochen hatte, und der Weg war zum Teil so schmal gewesen, dass sie sich nur im Krebsgang hatte fortbewegen können, bis er endlich wieder breiter geworden war. Bis jetzt hatten die Entfernungen auf den Zentimeter genau denen auf der Karte entsprochen.
    An dieser Stelle hätte eigentlich gleich rechts ein bogenförmiger Durchgang folgen sollen. Ruth richtete ihre Stirnlampe auf einen Punkt an der Höhlenwand etwa zweieinhalb Meter über dem Boden und ließ den Lichtstrahl dann ganz langsam hinabgleiten. Doch sie sah weder einen Rundbogen noch irgendein Anzeichen, dass sich dort jemals eine Öffnung befunden hatte. Schließlich ging sie noch einmal die Anweisungen durch, überprüfte erneut die Entfernungen, aber nein, ihr war kein Fehler unterlaufen. Ein weiteres Mal tastete sie die Höhlenwand mit dem Lichtkegel ihrer Stirnlampe ab und weitete ihre Suche zu beiden Seiten um mindestens einen Meter aus. Nichts. Dies hier musste jedoch der richtige Ort sein, daran bestand kein Zweifel.
    Es kam nur selten vor, dass Ruth fluchte, wenn sie frustriert war. Stattdessen summte sie. Und so summte sie auch jetzt, als sie mit den Fingerspitzen langsam über die Wand strich und an einigen Stellen ein wenig dagegendrückte. Die Wand bestand aus trockenem Kalkstein, auf dem sich im Laufe der Zeit eine dünne Sandschicht abgelagert hatte. Nichts als massive Höhlenwand.
    Ruth war zwar enttäuscht, doch sie wusste, dass derlei Rückschläge zum Leben einer Schatzsucherin gehörten. Ihr alter Onkel, Tobin Jones, der fünfzig Jahre lang Schatzsucher und so etwas wie ihr Mentor gewesen war, hatte ihr erklärt, dass es für jede echte Schatzkarte mehr gefälschte gab als illegale Einwanderer in Kalifornien. Natürlich lag das daran, dass auch jede gefälschte Karte ihren Wert hatte, wenn jemand darauf hereinfiel. Das Problem ist nur, hatte Tobin mit einem leichten Kopfschütteln gesagt, dass wir alle Naivlinge sind. Allerdings war dies seiner Ansicht nach immer noch besser, als es jenen Idioten gleichzutun, die mit einem Metalldetektor in der Hand über ein Baseballfeld oder einen Strand latschten, um nach Kleingeld zu suchen.
    Tatsächlich benutzte Ruth selbst Metalldetektoren, sie hatte ein tragbares Gerät zusammen mit zwei weiteren Ta-schenlampen an ihrem Gürtel festgeschnallt. Ja, sie wusste alles über gefälschte Schatzkarten, aber von dieser hier war sie wirklich begeistert gewesen. Alle ihre Nachforschungen hatten darauf hingedeutet, dass es sich um einen Volltreffer handeln könnte. Sogar das Alter des Papiers und der Tinte sowie die Handschrift passten - die Karte musste vor etwa hundertfünfzig Jahren angefertigt worden sein.
    Trotzdem war da kein bogenförmiger Durchgang zu sehen. Erneut spürte Ruth Enttäuschung in sich aufsteigen, und sie trat mit dem Fuß gegen die Höhlenwand. Immer wieder hatte es Rückschläge gegeben, und sie war auch schon des Öfteren hereingelegt worden. Da waren zum Beispiel die beiden gefälschten Schatzkarten gewesen, die ihr ein paar Typen angedreht hatten, woraufhin sie die Kerle verhaftet hatte. Diese Schwachköpfe hatten sogar gewusst, dass sie ein Cop war! Oder der Schotte, der ihr eine Karte von einer Höhle verkauft hatte, die nur einen halben Kilometer von Loch Ness entfernt lag. Sie hätte es eigentlich besser wissen müssen, doch der Kerl war so charmant gewesen, dass sie ihm einen köstlichen Moment lang hatte Glauben schenken wollen.
    Sie schüttelte den Kopf. Reiß dich zusammen! Diese Karte war echt, das wusste sie einfach. Wenn es hier Gold gab, war sie fest entschlossen, es zu finden! Und falls es keinen Durchgang gab, war er vielleicht bloß eingestürzt, und über die vielen Jahre hatten sich die Löcher gefüllt.
    Ja, ganz bestimmt! Sie lachte über sich selbst. Es war ein seltsames, unheimliches Geräusch, das die drückende Stille
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