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Die Tote ohne Namen

Die Tote ohne Namen

Titel: Die Tote ohne Namen
Autoren: Patricia Cornwell
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Weihnachten zusammen?«
    »Klar. Wir fahren zu ihrer Familie nach Urbana. Sie machen einen Riesentruthahn mit allem Drum und Dran.« Er schnippte die Asche auf den Boden und schwieg.
    »Das hier wird eine Weile dauern«, sagte ich. »Die Kugeln sind zersplittert, wie du auf den Bildern sehen kannst.«
    Marino sah sich das morbide Clairobscur auf den Leuchtkästen an.
    »Was hat er benutzt? Hydra-Shok?« fragte ich.
    »Heutzutage benutzen alle Polizisten hier in der Gegend Hydra-Shok. Vermutlich verstehst du jetzt, warum. Die leisten ganze Arbeit.«
    »Seine Nieren haben eine leicht körnige Oberfläche. Das ist ziemlich selten in seinem Alter.«
    »Was bedeutet das?« Marino schien neugierig.
    »Vermutlich ein Anzeichen für Bluthochdruck.«
    Er schwieg, fragte sich wahrscheinlich, ob seine Nieren genauso aussahen, was ich vermutete.
    »Es wäre mir eine große Hilfe, wenn du Notizen machen würdest.«
    »Kein Problem, solange du jedes Wort buchstabierst.«
    Er ging zu einem Tisch und nahm Block und Stift. Dann zog er Handschuhe an. Ich hatte gerade angefangen, Maße und Gewicht zu diktieren, als sein Piepser losging.
    Er löste ihn von seinem Gürtel und hielt ihn hoch, um die Anzeige zu lesen. Seine Miene verdüsterte sich.
    Marino ging zum Telefon auf der anderen Seite des Autopsieraums und wählte. Er sprach mit dem Rücken zu mir, und ich verstand nur ab und zu ein paar Worte, welche die Geräusche an meinem Tisch übertönten. Was immer er gerade hörte, es waren schlechte Nachrichten.
    Als er auflegte, entfernte ich Bleisplitter aus dem Gehirn und kritzelte Notizen auf eine leere blutige Handschuhschachtel. Ich hielt inne und sah ihn an.
    »Was ist los?« fragte ich, in der Annahme, daß der Anruf etwas mit diesem Fall zu tun hatte, denn was an diesem Abend geschehen war, das war schlimm genug.
    Marino schwitzte, sein Gesicht war dunkelrot angelaufen. »Benton hat mir auf meinem Piepser eine 911-Nachricht geschickt. «
    »Er hat was?« fragte ich.
    »Das ist der Code, den wir vereinbart haben für den Fall, daß Gault wieder zuschlägt.«
    »O Gott«, flüsterte ich.
    »Ich habe Benton gesagt, daß er dich nicht anzurufen braucht, weil ich hier bin und dich höchstpersönlich informieren kann.«
    Ich stützte die Hände auf die Tischkante. »Wo?« fragte ich angespannt.
    »Sie haben im Central Park eine Leiche gefunden. Weiblich, weiß, vermutlich Anfang Dreißig. Sieht so aus, als hätte Gault beschlossen, Weihnachten in New York zu feiern.«
    Ich hatte mich vor diesem Tag gefürchtet. Ich hatte gehofft und gebetet, daß Gault bis in alle Ewigkeit schweigen würde, daß er vielleicht krank oder gestorben war, in irgendeinem abgelegenen Dorf, in dem niemand seinen Namen kannte.
    »Das FBI schickt uns einen Hubschrauber«, fuhr Marino fort. »Sobald du hier fertig bist, Doc, müssen wir los. Der verfluchte Mistkerl!« Er begann, wütend auf und ab zu gehen. »Er mußte es heute tun!« Er starrte finster um sich. »Das war Absicht. Er hat es genau geplant.«
    »Ruf Molly an«, sagte ich und versuchte, ruhig zu bleiben und schneller zu arbeiten.
    »Und ausgerechnet heute habe ich diese Uniform an.«
    »Hast du was zum Umziehen dabei?«
    »Ich muß schnell nach Hause, meine Waffe muß ich auch hierlassen. Was machst du?«
    »Ich habe immer ein paar Sachen hier. Wenn du zu Hause bist, könntest du da meine Schwester in Miami anrufen? Lucy müßte seit gestern dort sein. Sag ihr, was passiert ist, und daß ich nicht kommen kann, zumindest nicht sofort.« Ich gab ihm die Telefonnummer, und er ging.
    Es war fast Mitternacht, es schneite nicht mehr, und Marino war zurück. Anthony Jones lag eingeschlossen in einem Kühlfach, alle seine Verletzungen, alte wie neue, waren registriert für eine eventuelle Aussage vor Gericht. Wir fuhren zum Aero-Services-Intemational- Terminal, wo wir hinter Glasscheiben zusahen, wie Benton Wesley, trotz der Turbulenzen, in einem Belljet Ranger zielsicher auf einer kleinen, hölzernen Plattform landete, während ein Tankwagen mit Treibstoff aus dem Schatten glitt. Wolken zogen wie Schleier über das Rund des Mondes.
    Ich beobachtete, wie Wesley ausstieg und von den sich drehenden Rotorblättern forthastete. Seine Haltung verriet Zorn, sein Schritt Ungeduld. Er war groß, hielt sich gerade und strahlte eine ruhige Autorität aus, die den Leuten Angst einflößte.
    »Das Auftanken wird zehn Minuten dauern«, sagte er, als er bei uns ankam. »Gibt es irgendwo Kaffee?«
    »Das ist eine gute
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