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Die Tore des Himmels

Die Tore des Himmels

Titel: Die Tore des Himmels
Autoren: Sabine Weigand
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später. Ich konnte nichts als staunen über die höfische Pracht, die Augen und Ohren weit offen, es war wie im Märchen. Ganz besonders liebte ich den kostbaren Teppich, der in der Kinderstube lag. Er kam aus dem Morgenland; der Landgraf hatte ihn vor etlichen Jahren von der Kreuzfahrt mitgebracht. Leuchtende Muster waren darin eingeknüpft, die ich gern mit den Fingern nachfuhr, und in der Mitte thronte ein brüllender Löwe mit erhobenen Pranken und gestelltem Schweif. Oft legte ich meine Wange an seine, er war mein Freund und Beschützer, und in meiner Phantasie bestand ich mit ihm die herrlichsten Abenteuer.
    Damals war der Landgraf noch nicht krank, er liebte das gute Leben und ließ es sich und seinen Gefolgsleuten wohl sein mit Festen und Feiern. Der Adel lebte am Hof wie die Made im Speck, doch es war ein trügerisches Gepränge: Während man auf den Burgen sang und tanzte, brannten überall im Land die Dörfer. Damals wusste ich das natürlich nicht, man hielt solche Dinge von uns Kindern fern, aber der Landgraf war tief in den Thronstreit zwischen den beiden mächtigen Geschlechtern der Staufer und Welfen verstrickt. Hielt er sich zum einen, verwüstete der andere seine Länder und Besitzungen. Schlug er sich auf die Seite des anderen, kam es ebenso. Es herrschte ständig Krieg – und dennoch glänzte der Thüringer Hof in nie gekannter Herrlichkeit, voller Pracht, voller Überfluss und voller Menschen. Kaum ein Tag verging ohne Gastereien, die die ganze Hofhaltung mit ihrem Glanz erfüllten; nächtelang gingen in der Hofstube die Lichter nicht aus. Immer waren Fremde auf der Burg, hohe Frauen und Herren vom Adel, Gesandte von anderen Höfen, Freunde und Verwandte aus weitentfernten Landen, Spielleute, Geschichtenerzähler. Eine Schar fuhr aus, die andere ein. Am liebsten waren dem Landgrafen die Sänger und Dichter. Sie lud er oft auf lange Zeit nach Thüringen ein, gab ihnen Hofkleidung und Deputat, und dafür mussten sie nichts anderes tun als Frohsinn und Kurzweil zu verbreiten.
    So viele Menschen brachten uns Kinder manchmal schon durcheinander. Es war ein ständiges Kommen und Gehen. Aber die Freude in unserer Kinderstube war jedes Mal groß, wenn alte Freunde wiederkamen und dann in verzückte Rufe ausbrachen, wie sehr wir doch gewachsen waren und wie hübsch wir geworden seien.
    Wenn ich Kinderstube sage, dann meine ich unsere Räume im Frauenzimmer, gemütliche Bohlenstuben, in denen wir uns meistens aufhielten. Wir, das waren Agnes, mit der ich wie eine Schwester aufwuchs, ihr jüngster Bruder Konrad, gerade den Windeln entwachsen, dann der ein Jahr ältere Heinrich Raspe, der, wie es Sitte war, bis zum Alter von sechs Jahren noch mit im Frauenzimmer lebte. Dazu noch Ludwig, der zwar schon bei den Männern wohnte, sich aber immer noch gern mit uns Kleineren abgab. Der vierte und älteste Bruder, Hermann, lebte damals schon nicht mehr am elterlichen Hof. Man hatte ihn zur Erziehung auf die fränkische Plassenburg geschickt, wo seine ältere Halbschwester Hedwig mit dem Grafen von Orlamünde verheiratet war.
    Außer uns gab es natürlich noch die Kinderfrauen und Dienerinnen und über allem waltete meine Ziehmutter, die Landgräfin. Sie wachte streng, aber liebevoll über alle ihre Kinder. Noch heute bin ich ihr dankbar, dass sie mich nie spüren ließ, wie tief ich eigentlich im Rang unter den anderen stand. Sie behandelte uns alle gleich. Am wichtigsten war ihr, dass wir im rechten Glauben gut erzogen wurden. Jeden Tag kam der Hofpfaffe und erzählte uns Geschichten aus der Bibel, die liebten wir. Aber er war auch unerbittlich und verlangte uns viel ab. Was mussten wir nicht alles bei ihm auswendig lernen, sogar auf Lateinisch, obwohl wir natürlich kein Wort davon verstanden!
    Die Landgräfin ließ es sich nicht nehmen, uns in Glaubensdingen täglich selber zu unterrichten. Mit ihr sangen wir viel, sagten Kindergebete auf und gingen gemeinsam in die Hofkapelle zur Messe. Einmal, ich weiß es noch genau, schwänzte Ludwig die Morgenandacht, weil er unbedingt auf dem Turnieranger beim Aufsatteln der Pferde dabei sein wollte. Die Landgräfin ließ ihn daraufhin drei lange Stunden auf einem Holzscheit knien, und er bekam den ganzen Tag kein Essen. Damals fanden wir Kinder diese Strafe zu hart, aber heute weiß ich, warum Sophia so sehr darauf achtete, dass wir gut christlich erzogen wurden. Sie hatte Angst um uns. Nicht so sehr um die Mädchen, sondern um ihre Söhne, die in Glaubensdingen unter
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