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Die Tore des Himmels

Die Tore des Himmels

Titel: Die Tore des Himmels
Autoren: Sabine Weigand
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Rang der zweithöchste Fürst im Reich.
    Hermann I. hob mit ausgestrecktem Zeigefinger mein Kinn an, so dass ich ihm in die Augen sehen musste. »Hübsches Ding, das«, sagte er, zu Sophia gewandt. Er sprach über mich als sei ich ein Stück Hausrat. »Bisschen zu blass vielleicht und zu dünn. Na, wird schon noch werden.« Heute ist mir klar, woran er dachte. Er hatte bereits drei Töchter verheiratet, und wenn es um Mädchen in seinem Haushalt ging, auch wenn sie noch so klein waren wie ich, war sein einziger Gedanke, ob sie auch gut unter die Haube zu bringen waren. Auch wenn ich das damals noch gar nicht verstand, wurde ich rot. Immer noch lag des Landgrafen Finger an meiner Kinnspitze, und ich schielte nach unten, um seine geschmückte Hand zu betrachten. Die Ringe waren aber auch gar zu schön mit ihren schillernden Steinen! Nur am Zeigefinger steckte einer, der nicht recht zu den anderen passen wollte: ein einfacher, breiter Reif aus Silber, mit Buchstaben darauf, wie ich sie ähnlich im Psalter meiner Ziehmutter gesehen hatte. Ausgerechnet dieser Ring fesselte nun meine Aufmerksamkeit. Etwas Geheimnisvolles ging von ihm aus, etwas Unheimliches, aber auch Lockendes. Ja, viele Jahre später sollte ich den Grund für diese seltsame Anziehungskraft erfahren – mein Gott, dass ich es damals schon spürte!
    Der Landgraf ließ mein Kinn los, und wie es, dem Herrn sei’s geklagt, schon immer meine Art war, tat ich etwas völlig Unüberlegtes: Ich streckte einfach die Hand aus und berührte den Ring. Hermann runzelte verblüfft die Stirn, und im selben Augenblick zuckte ich erschrocken zurück. Gleichzeitig zerrte mich Sophia unsanft fort und schob mich zur Tür hinaus, wo sie mir die erste Maulschelle meines Lebens gab. Ich verstand nicht, warum sie so furchtbar böse auf mich war. Offensichtlich hatte ich etwas ganz Schreckliches getan. Ich war völlig durcheinander, die Wange tat mir weh, und in meinem Hals bildete sich ein dicker Kloß.
    Aber das Schlimmste, das, was mir wirklich Angst machte, war etwas ganz anderes: Der Ring hatte sich glühend heiß angefühlt! Ich brach in Tränen aus.
    Heute scheint mir dies alles wie ein Vorzeichen. Es war, als hätte ich damals schon geahnt, dass dem einfachen silbernen Reif eine tiefe Bedeutung innewohnte. Und als hätte ich damals schon die Glut des Höllenfeuers gespürt, das denjenigen erwartete, der ihn trug.

Gisa
    » S ie kommen! Sie kommen!« Die Kinder der Hofdienerschaft verkündeten die Neuigkeit als Erste. Ich drängte mich mit Agnes, Konrad und Heinrich im Steinrahmen der schmalen Fensteröffnung zusammen, um ja nichts zu verpassen. Es muss irgendwann im Spätherbst des Jahres 1211 gewesen sein, das genaue Datum weiß ich nicht mehr, nur, dass die Bäume längst kahl waren und Martini schon vorbei.
    Ich schob meine vorwitzige Nasenspitze so weit nach draußen, wie ich konnte. Seit Wochen schon platzte ich vor Neugier, seit meine Ziehmutter Sophia erzählt hatte, dass die zukünftige Landgräfin von Thüringen zu uns unterwegs war. »Freut euch«, hatte sie gelächelt, »die Tochter des ungarischen Königs wird an den Hof kommen. Sie heißt Elisabeth, und es ist ausgemacht, dass sie einmal unseren Hermann heiratet.« Die Landgräfin erklärte uns gleich, dass die kleine Braut natürlich noch viel zu jung zum Heiraten war. »Ihre Eltern schicken sie so früh an den Hof ihres zukünftigen Gatten, damit sie sich an die fremde Sprache, die anderen Sitten und überhaupt an ihr neues Land und seine Menschen gewöhnen kann. Sie soll noch vor der Heirat zu einer rechten Thüringerin werden. Das macht man immer so, es ist nur vernünftig.« Sophia sah Agnes mit ernstem Blick an. »Ich möchte, dass sie dir wie eine Schwester ist. Du bist die Ältere und hier zu Hause, also wirst du dich vor allen anderen um sie kümmern.«
    Agnes nickte folgsam, aber ich sah ihren finsteren Blick, als sie sich umdrehte. Nun ja, das hatte ich erwartet. Agnes war immer ein verwöhntes Ding gewesen, eigensinnig und eitel. Wenn sie etwas haben wollte, konnte sie schmeicheln wie ein Kätzchen, aber wehe, sie bekam es nicht. Dann funkelte sie einen mit solcher Wut in den Augen an, dass einem ganz angst und bang wurde. Sie war die Einzige unter den Kindern des Landgrafen, die mich spüren ließ, dass ich eigentlich nicht dazugehörte. Wenn sie böse auf mich war – und das war sie oft –, behandelte sie mich wie eine vom Gesinde, was ich im Grunde genommen ja auch war. Als
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