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Die Tore des Himmels

Die Tore des Himmels

Titel: Die Tore des Himmels
Autoren: Sabine Weigand
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Beherrscherin Thüringens nicht vorgestellt! Ihre Haut war trotz des Kerzenlichts ganz dunkel getönt, die Augen wie Kohle und das Haar schwarz wie die Nacht!
    Endlich nahm uns meine Ziehmutter bei den Händen und trat mit uns vor die ungarische Braut. »Das hier«, sagte sie und schob Agnes ein Stück vor, »ist deine Schwägerin Agnes. Und dies«, damit deutete sie auf mich, »ist Gisa, deine Freundin und Dienerin. Agnes, gib Elisabeth einen Kuss.« Ich konnte mir ein Grinsen nicht verkneifen, denn ein Kuss war bestimmt das Letzte, was Agnes jetzt Vergnügen bereiten würde. Aber sie wagte keinen Widerspruch, trat zu dem fremden Mädchen, kniff die Augen zu und berührte mit spitzen Lippen ihre Wange.
    »Brav, meine Kleine«, lobte Sophia. Was die Landgräfin nicht gesehen hatte, war, dass ihre Tochter die zukünftige Schwägerin kräftig in den Arm gezwickt hatte. Agnes war Meisterin im Zwicken; ich konnte ein Liedchen davon singen. Jetzt warf sie mir einen triumphierenden Blick zu. Der Schmerz hatte Elisabeth die Tränen in die Augen getrieben, aber sie beklagte sich nicht. Sie tat mir leid, schließlich war sie ganz fremd und neu, und sie konnte ja nichts dafür, dass sie so schwarz und hässlich war. Ich wollte irgendetwas Freundliches zu ihr sagen, aber mir fiel nichts ein. Schließlich hielt ich ihr wortlos den tropfnassen Schuh hin, den ich im Hof aufgelesen hatte. Verwundert blickte sie mich an mit ihren Kohleaugen, dann nahm sie das grasgrüne Ding und lächelte schüchtern. Wir wussten es damals nicht, aber dies war der Beginn einer Freundschaft, die ein Leben lang halten sollte.
    Und schon zog mich die Kinderfrau fort, denn nun kam die wichtigste Sache des Abends. Erst hielt der Landgraf eine Rede, von der ich mir nur merkte, dass er ständig vom »teuren Schatz aus Ungarland« sprach. Dann führte man die kleine Braut feierlich ins Nebenzimmer, wohin auch die Edelleute folgten. Wir Kinder durften ebenfalls hinein, waren wir doch die jüngsten Zeugen. Ich sah ein kostbares, geschnitztes Himmelbett mit zurückgeschlagenen Laken. Davor wartete ein halbwüchsiger, schlaksiger Junge, von dem ich annahm, dass es Hermann war. Der gerade erst aus dem Orlamünderland angekommene Bräutigam! Sein pickeliges Gesicht hatte einen halb mitleidigen, halb verächtlichen Ausdruck – er war schließlich in einem Alter, in dem alle Jungen Mädchen albern fanden. Was sollte er nur mit so einem kleinen Ding anfangen? Aber er kannte seine Rolle. Mit einem gottergebenen Schnaufer legte er sich nun mitsamt seinen Stiefeln ins Bett und verschränkte die Arme über der Brust. Die Landgräfin stupste Elisabeth aufmunternd an und deutete auf den Platz neben Hermann. Aber die Braut stand stocksteif und rührte sich nicht. Noch einmal stupste Sophia – ihre zukünftige Schwiegertochter bewegte sich nicht. Da hob der Landgraf die verdutzte Kleine kurzerhand hoch und packte sie ins Bett. Jubel brandete auf. Die Verlobung war vollzogen und rechtskräftig.
    Danach sahen wir dann den echten »Schatz« aus Ungarland. Man hatte die Mitgift Elisabeths in der Ecke des Schlafzimmers aufgebaut, und nun wurde das Tuch fortgezogen, das die Kostbarkeiten bisher verhüllt hatte. Wir alle hielten den Atem an. Wohl niemand von der ganzen Hofgesellschaft hatte jemals dergleichen gesehen: goldene und silberne Trinkgefäße, Schalen und Teller. Kronen, Ringe, Spangen und Gürtel. Herrliche Gewänder aus Seide und Brokat, golddurchwirkte Stoffe, Baldachine, Tischteppiche. Kassetten mit Schmuckknöpfen und Perlen. Ein Bettchen und ein Badekübel aus purem Silber. Pelze und Bänder. Bettzeug, Hausrat, Edelsteine. Eine Truhe voller Münzen, man raunte, es seien wohl zweitausend Mark feinsten Silbers. Und das sei nur die erste Rate des Brautschatzes. Es war unfassbar. Zum ersten Mal in meinem Leben bekam ich eine Vorstellung davon, was wirklicher Reichtum bedeutete. Und dem Mädchen, dem dies alles gehörte, hatte ich soeben einen nassen Schuh überreicht!
    Kaum hatten wir uns sattgesehen an all der Pracht, brachte man uns zu Bett. In der Kinderstube wartete die nächste Überraschung auf uns: Guda. Denn der »ungarische Schatz« war nicht allein gekommen; man hatte ihr eine Freundin mitgegeben, damit sie in ihrer neuen Umgebung nicht so ganz einsam sei. Guda war vielleicht so alt wie Agnes, ein farbloses, unscheinbares Ding und so schüchtern wie ängstlich. Sie stammte, wie sich später herausstellte, aus deutschem Adel in Ungarn; ihre Eltern zählten
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