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Die Tore des Himmels

Die Tore des Himmels

Titel: Die Tore des Himmels
Autoren: Sabine Weigand
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die Landgräfin und ließ die Nadel sinken.
    Das Mädchen tippelte zu ihr hin. »Mutter, ich möcht gern mit Euch den Psalter anschauen«, sagte sie in ihrem breiten bayrischen Tonfall.
    »Schon wieder?« Sophia schüttelte in gespielter Verzweiflung den Kopf über ihr Ziehkind. Niemand freute sich an dem kostbaren Gebetbuch, das sie in einem niedersächsischen Kloster hatte anfertigen lassen, mehr als Elisabeth. Fast täglich kam die Kleine zu ihr, um am liebsten stundenlang die herrlichen Bilder im Kalendarium zu betrachten und sich vorlesen zu lassen.
    »Ei, du bist mir ein wahrhaft frommes Ding«, sagte die Landgräfin. »Komm, lass uns aus dem Psalter ein Gebet aussuchen, das wir für die Seele des Landgrafen sprechen.«
    Die beiden gingen gemeinsam in die Schlafkammer der Fürstin, wo auf einem Tischchen das riesige Buch schon aufgeschlagen lag. Elisabeth kletterte auf Sophias Schoß und ließ sich das bunte Bild erklären, das die Krönung Mariens zeigte. Sie durfte ein wenig in dem Prachtband blättern, was sie ganz vorsichtig tat, um nichts zu beschädigen. Schließlich deutete sie auf einige Sätze, die nachträglich von Sophias Hand auf eine Seite geschrieben worden waren. »Was steht da?«, fragte sie.
    Die Miene der Landgräfin verdüsterte sich. »Nichts von Bedeutung«, antwortete sie. Wie hätte sie der Kleinen auch vorlesen sollen, was sie da eingetragen hatte. Es war die inständige Bitte an den Herrn im Himmel, ihren Gatten einst zu erlösen, der in so viele Verbrechen und Sünden verstrickt sei. Und damit hatte sie nicht den Kirchenbann gemeint, in dem sich der Landgraf derzeit wegen eines kriegerischen Konflikts mit dem Mainzer Erzbischof befand. Allein das wäre schon schlimm genug gewesen.
    Aber Hermann lebte ja in noch viel größerer Sünde. Denn seit der Zeit, die er als junger Mann in Frankreich verbracht hatte, gehörte er einer Gemeinschaft an, die sich Katharoi nannte – die Reinen. Der Papst hatte sie längst als Ketzer verurteilt, und westlich des Rheins waren diese Abtrünnigen blutig mit Feuer und Schwert gerichtet worden. Auch im Reich waren schon die Ketzerjäger unterwegs, angeführt von einem fanatischen Magister aus Marburg, Konrad mit Namen, der Furcht und Schrecken verbreitete. Überall entlarvte er die Irrgläubigen; sie verloren, so sie verstockt waren, ihr Leben, so sie gestanden, all ihr Hab und Gut. Doch noch größer als die Gefahr einer weltlichen Strafe war die Verdammnis der Seele, der Hermann anheimzufallen drohte. Sophia seufzte schwer. Sie hoffte immer noch, dass sich irgendwann einmal alles zum Guten wenden würde. Dies war der Grund gewesen, den teuren Psalter überhaupt anfertigen zu lassen. Ihr war er Trost, und vielleicht lohnte Gott ihr die fromme Tat, indem er den Landgrafen nicht in die tiefsten Tiefen der Hölle verdammte.
    Elisabeth riss Sophia aus ihren Gedanken. »Mutter, denkt nur«, sagte sie, »der Herr von Eschenbach hat mir heut auf einem Täfelchen den Heiligen Georg gemalt, und den Drachen! Der war so garstig, dass ich weinen musste. Aber der Georg hat ihn tapfer erstochen mit seinem Spieß, da war ich wieder froh.«
    Sophia strich der Kleinen über die widerspenstigen Locken. »Du und deine Heiligen. Weißt du eigentlich, dass auch welche unter deinen Vorfahren sind?«
    Elisabeth zog einen Schmollmund. »Der Meister Igilbert hat’s erzählt«, murmelte sie. »Aber Agnes hat gesagt, es stimmt nicht.«
    »Wohl stimmt es«, entgegnete die Landgräfin. »Die Heiligen Stephan, Ladislaus und Emmerich aus dem berühmten Geschlecht der Arpaden. Emmerich wurde heiliggesprochen, als ich noch ein Kind war, ich erinnere mich noch genau daran, wie es in der Kirchen verkündet wurde. Dein Geschlecht ist ein gesegnetes, Tochter, weil deine Ahnväter von Gott erhoben wurden.«
    Elisabeth schien diese Worte in sich aufzusaugen wie ein Schwamm das Wasser. Die beiden lasen noch eine Weile im Psalter, dann schob Sophia die Kleine von ihrem Schoß. »Jetzt ist Schluss, meine Gute, ich habe noch zu tun. Lauf und spiel mit den anderen.«
    Elisabeth ging folgsam zur Tür, blieb aber dann auf halbem Weg stehen. »Mutter«, fragte sie, »wie wird man Heiliger?«
    Sophia überlegte. »Nun, durch gute Taten oder durch ein Martyrium«, antwortete sie. »Wenn man für den Glauben stirbt, kommt dadurch die Heiligkeit von selber.«
    »Dann will ich auch einmal für den Glauben sterben«, versetzte Elisabeth ernst, »damit ich heilig werde.«
    »Bist du wohl still«, tadelte
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