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Die Tore des Himmels

Die Tore des Himmels

Titel: Die Tore des Himmels
Autoren: Sabine Weigand
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die Landgräfin. Wo hatte man so etwas schon einmal gehört? »Das kann man sich nicht einfach so vornehmen, das ist allein Gottes Werk und Entscheidung. Alles andere ist Hoffart.«
    Elisabeth stampfte mit dem Fuß auf. Da war es wieder, das ungarische Temperament. »Aber der Hannes kann doch auch sagen, er will Türmer werden, und die Gerswind will einmal Silbermagd sein wie ihre Mutter.«
    Die Landgräfin seufzte. Sie wusste schon Bescheid, dass ihre Ziehtochter sich viel zu oft mit den Gesindebälgern herumtrieb, die ihr Flausen in den Kopf setzten. »Was die einfachen Kinder wollen, kann uns ganz gleich sein, Dummchen. Die werden schon ihren Platz im Leben finden. Du aber, du wirst einmal Landgräfin von Thüringen sein. Nur das ist wichtig. Das ist dein Ziel für die Zukunft. Heilig zu werden, das liegt nicht in deiner Hand, wo denkst du hin? Es reicht schon, wenn du gottgefällig lebst und fromme Werke tust. Dann bist du ein gutes Kind und wirst einmal eine wahrhaft christliche Fürstin.«
    Elisabeth verließ ein wenig beleidigt die Schlafstube und lief schnurstracks in die Peterskapelle. Vor dem Altar warf sie sich hin, mit ausgebreiteten Armen, wie sie es schon öfters vom Pfarrer gesehen hatte. »Lieber Gott«, bat sie, während die Kälte des Steins durch ihre Kleider drang und sie schaudern ließ, »mach, dass ich einmal heilig werde. Ich will auch immer brav sein.«
    Dann sprang sie auf und rannte hinaus in den Burghof.

Gisa
    E lisabeth spielte mit Feuereifer »Heilige«. Sie scherte plötzlich aus der Runde aus, wenn wir den Reigen tanzten, und sagte todernst so etwas wie: »Lieber Herrgott, sieh, dass ich mir den Tanz versage zu deinen Ehren.« Oder sie lief mitten während der Blindekuh zur Kapelle, küsste die Pforte und sprach ein Gebet. Manchmal, wenn wir mit Murmeln spielten und sie gewann, schenkte sie ihren Preis einem der ärmeren Kinder von der Dienerschaft. Dabei pflegte sie jedes Mal zum Himmel aufzuschauen und zu sagen: »Herr Jesus, schau, ich gebe freudig den Armen.« Damals gehörten ja zur Hofhaltung bestimmt zwanzig oder mehr Kinder aus der Dienerschaft, von denen etliche in unserem Alter waren, dazu kamen noch so manche Sprösslinge vom Adel, die auch meistens mit am Hof lebten. Wenn wir überlegten, was wir spielen sollten, kamen von ihr Vorschläge wie »das Martyrium der Sankta Antonia« – die war beliebt, weil man sie gegen Zahnweh anrief, und eines von uns hatte bestimmt immer Zahnschmerzen – oder die »Verkündigung Mariens«. Wobei natürlich immer Elisabeth selbst die Hauptperson spielen wollte. Agnes ärgerte sich schwarz und zahlte es der Ungarin auf tausend verschiedene Arten heim. Das wiederum ließ mich Partei für Elisabeth ergreifen, denn sie wollte ja nichts Böses, ganz im Gegenteil, sie war so gut und lieb und fromm, wie wir alle hätten sein sollen. Ich hatte sie einfach gern.
    Was mich noch an ihre Seite trieb, war meine böse Hüfte. Im Nachhinein betrachtet, war meine Behinderung gar nicht so schlimm. Wenn ich einfach nur stand oder ging, ohne Eile und ganz ruhig, merkte man so gut wie gar nichts. Anders war es, wenn ich rennen musste, was ich immer vermied, oder aber wenn ich aufgeregt war. Dann humpelte ich deutlich und schämte mich unendlich für meinen Makel. Wenn mich Agnes dann hänselte, stahl ich mich mit brennenden Backen davon, irgendwohin, wo mich keiner sah, und weinte. Elisabeth blieb das natürlich nicht lang verborgen, und ab da gehörte ich zu den Armen und Hilfsbedürftigen, zu denen es sie stets hinzog und denen sie aus Nächstenliebe beistehen wollte. Und mir tat ihre Freundlichkeit so gut. Wenn ich wieder einmal den anderen nicht folgen konnte, die fröhlich vorausliefen, dann blieb sie mit mir zurück. Schimpften mich Agnes und ihre Zofen »Hinkebein«, dann legte sie die Arme um mich und tröstete mich: »Der liebe Gott hat alle Menschen lieb, ob sie gut laufen können oder nicht. Und ich hab dich auch lieb.« Elisabeth war das Beste, was mir geschehen konnte, seit ich am Hof lebte. Wir wurden ein verschworenes Paar – halt, nein, natürlich gehörte noch eine Dritte zu uns: Guda, die brave, einfache Guda, fast hätte ich sie vergessen. Das alleine sagt schon viel aus, denn ich habe ein ausgezeichnetes Gedächtnis. Es war nur so, dass Guda nie auffiel. Sie war Elisabeths Schatten, nie sah man sie alleine. Ein farbloses, langweiliges Ding mit mausfarbenem Haar, wässrigblauen Augen und einem blassen Mondgesicht. Ob sie jemals einen
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