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Der Große Fall (German Edition)

Der Große Fall (German Edition)

Titel: Der Große Fall (German Edition)
Autoren: Peter Handke
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    Jener Tag, der mit dem Großen Fall endete, begann mit einem Morgengewitter. Der Mann, von dem hier erzählt werden soll, wurde geweckt von einem mächtigen Donnerschlag. Das Haus, mitsamt dem Bett, wird erzittert und für einen langen Augenblick nachgebebt haben. Augenblick: das traf auf den Liegenden dort nicht zu. Aus dem Schlaf geschreckt, hielt er die Augen geschlossen und wartete, wie das Geschehen nun weiterginge.
    Es regnete noch nicht, und durch das weit offene Fenster war auch kein Wind zu hören. Dafür blitzte es wieder und wieder. Die Blitze, sie schossen durch die geschlossenen Lider des Mannes mit einem geballten Blaken, und der trockene Donner darauf, in immer kürzerer Folge, brach sich verstärkt in den Ohren.
    Geschreckt aus dem Schlaf: auch das traf auf den da Liegenden nicht recht zu. Nicht einmal überrascht schien ihn das Losschlagen des Gewitters zu haben. Er lag still und ließ es durch die Lider blitzen und durch das Schädelinnere donnern, als etwasAllmorgendliches, als etwas Alltägliches; als sei er es gewohnt, auf solche Weise geweckt zu werden; und nicht bloß gewohnt, sondern zu diesem besonderen Gewecktwerden auch berechtigt. Blitze und Donner wirkten als eine Weckmusik, welche ihn aus dem Tiefschlaf so jäh wie selbstverständlich überführte in eine vollkommene Geistesgegenwärtigkeit, und in noch etwas anderes: eine Bereitschaft; Bereitschaft, sich zu konfrontieren, zu stellen, einzugreifen. Erst einmal lag er hingestreckt in dem Tumult und hatte seine Freude daran.
    Nach dem ersten Donnern wäre er fast aufgesprungen, um Fernseh- und Musik-Undsoweiter-Stecker herauszuziehen. Doch im selben Moment das Bewußtwerden: Er war nicht im eigenen Haus, lag in einem fremden Bett. Der Ort selber, an dem er geschlafen hatte, war ein fremder, fremd das ganze Land.
    Seit sehr langem war das die erste Nacht fern dem eigenen Bett, fern den vertrauten Räumen gewesen. Noch bei geschlossenen Augen hatte er den Arm nach der gewohnten Zimmerwand ausgestreckt, die dann nicht da war. Er hatte ins Leere gegriffen. Und auch das schreckte ihn nicht, er wunderte sich bloß, bis ihm zu Bewußtsein kam: Ich bin ja unterwegs. Ich bin doch gestern von zuhause aufgebrochen.Zwar bin ich nicht erwacht im eigenen Bett, aber auch nicht in einem fremden.
    Früher einmal, am ersten Morgen woanders, hatte ihm das Zuhause gefehlt. Schon an den Ankunftsabenden in dem anderen Land, schon am Flughafen dort zum Beispiel, blickte er mit einer Art Trennungsschmerz auf die Tafel, die den unmittelbaren Rückflug anzeigte. Am Morgen des Tages seines Großen Falls aber setzte ihm die Fremde nicht nur keinen einzigen Moment lang zu, sondern er fand sich in ihr auf der Stelle heimisch. Er wollte die Augen nie wieder aufmachen.
    Donner und Blitz, Blitz und Donner waren es, die ihn fern von daheim jetzt gastlich aufnahmen. Und als sie dann allmählich schwächer wurden und sich verzogen, tat das der Regen. Ganz plötzlich schon in der Nachgewitterstille, schüttete es los, ein einziges, gleichmäßiges, andauerndes Schmettern. Von dem Schwall behütet, lag der Mann da, weiter mit geschlossenen Augen. Nichts konnte ihm geschehen. Selbst wenn das nun draußen die Sintflut wäre: Er fand sich in einer Arche, fand sich in Geborgenheit.
    Von der gewiegt wurde er noch durch ein Drittes. Er hatte geschlafen und war erwacht im Bett einerFrau, die ihm gut war. Die ihn liebte? Zwar hatte sie ihm das während der Nacht einmal bedeutet. Aber er wäre nicht einverstanden gewesen damit, das hier so wortwörtlich niedergeschrieben zu sehen. Sie war mir gut: das war’s, was er sagen konnte.
    Auch er war der Frau gut an jenem Morgen, stärker noch als in der Nacht, oder umfassender, aber anders. Sie hatte Bett und Haus sehr früh, schon vor dem Tagwerden, verlassen, für ihre Arbeit. Kaum ein Geräusch war dabei von ihr gekommen, und er, im Halbschlaf, war da erfüllt worden von einer wie kindlichen Dankbarkeit; hatte, das spürte er am ganzen Leib, die Dankbarkeit selber verkörpert. Er hätte es ihr nie und nimmer sagen können, aber wie er so ihrem durch die Räume des Hauses sich entfernenden Luftzug nachhorchte, da lag er und verehrte sie, diese Frau dort.
    Eher wäre er mit sich als ihrem Verehrer einverstanden gewesen denn als ihrem Geliebten. Wie sie ihn einmal voll Stolz, kam ihm vor, so ansprach, hatte er, und nicht nur, weil er über das Alter, einen Geliebten darzustellen, hinaus war, die Brauen gehoben und woandershin
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