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Der Große Fall (German Edition)

Der Große Fall (German Edition)

Titel: Der Große Fall (German Edition)
Autoren: Peter Handke
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– ab morgen würde er, auch außerhalb der Drehzeit, Kostüm tragen – aus seinem Reisebeutel, dem so unauffälligen, daß er unter der Achselhöhle Platz hatte. Es war, als habe er den Beutel bisher da versteckt und ziehe ihn jetzt hervor. Ein Leinenhemd, weiß und kragenlos, noch heiß vom Bügeln, als er es dann anzog. (Auch der Ort des Bügeleisens im fremden Haus war schlafwandlerisch klar gewesen.) Eincremen des einzigen Schuhpaars, mithilfe einer kaum murmelgroßen Cremeflocke, die aber für das ganze Leder reichte, feiner Schwarzfilm bis hinein in die tiefsten Schründe. Die geputzten und polierten zwei Schuhe darauf, wie er es auch zuhause hielt, für das Weggehen bereitgestellt in den Kühlschrank. In seiner Phantasie war erdabei sein eigener »Bursche«, in einem vorzeitlichen Regiment.
    All diese Tätigkeiten hatte mein Schauspieler im Salon des Pavillons verrichtet, im Ohr zunächst noch sporadische Regentropfen, die durch den Rauchfang oben werweißwie herab in den Kamin fielen, ein Geräusch im Raum wie ein unregelmäßiges Ticken, von den Tropfen unten beim Auftreffen auf den Holzscheiten und, vernehmbarer, auf dem zerknüllten Papier da. Dann war das Ticken verstummt, und an dessen Stelle – sonst weit und breit kein Laut – füllte das ganze Haus ein Taubengurren, das zwar wieder von hoch oben kam, sich aber, durch den offenen Kamin herabgeleitet, anhörte, als turtele das Taubenpaar unmittelbar an des Schauspielers Ohr, und während all seiner Verrichtungen dachte der sich aus, wie er, hätte er den bevorstehenden Abend mit der Menge hinter sich, um Mitternacht daselbst mit der Frau am Tisch säße und ihr, wie er das nicht zum ersten Mal tat und wie sie es heiter geschehen ließ, sachlich Fragen nach ihren, der Frau, innersten Regungen bei der leibhaften Liebe stellen und sie ihm ebenso sachlich erzählen und immer weiter fort erzählen würde, was es von ihr, als Frau, zu erzählen gäbe.
    Sie säßen da bei offenem Fenster zur Nacht. Der Tisch wäre der auf dem Podest dort, so daß sie ein Paar bildeten wie auf einer Bühne. Ihrer beider Hände lägen im Abstand voneinander auf der Tischplatte, ruhig, fast unbeweglich, von Anfang bis Ende ihres Gesprächs. Aus dem Wald dränge von Zeit zu Zeit, als das einzige Geräusch von außen, das Rufen einer Eule, gleich einem Seil sich zu ihnen in das Zimmer schwingend, zuerst eintönig, dann mit jeweils zwei synkopischen Tönen, und zum Ausklang des Dialogs als ebensolcher Dreifachton.
    Und so begänne der Mann, die Frau zu befragen: Ob sie eines Morgens schon einmal aufgewacht sei mit einem Mann in sich, ohne Erinnerung, wie das Mannsgeschlecht da in sie hineingeraten war, ohne Bewußtsein, wer derjenige welche in ihr, auf ihr, unter ihr denn überhaupt sein könnte, in einem Durcheinander von Ortsgefühlen – als lägen sie in einem Innenraum, der sich zugleich im Freien befand, und umgekehrt – und mit dem einzigen Zeitgefühl eben eines Morgens, auch wenn das gar nicht der Fall gewesen sein sollte, und dabei sie beide vollkommen still, ohne jede Bewegung, sie hellwach, der Mann in einem tiefen, doch nicht totenähnlichen Schlaf, was ihn, den Frager, an einen Filmdialog denken lasse; wo Glenn Ford – er sei so müde, und sie betrunken – sich der Rita Hayworth entziehen will, worauf diese zurückgibt, eine betrunkene Frau und ein müder Mann, das ergäbe ein gutes Paar, womit er, in ihrem Fall nun, eine Betrunkenheit von vornherein ausschließe: Ob es ihr also, kurz und gut, schon einmal untergekommen sei, auf die angedeutete Weise, mit einem Unbekannten, zusammenzustecken. Und sie, die Befragte, würde erst einmal mit einem Lachen das »kurz und gut« wiederholen, und dann bemerken, seine Frage sei ja eine epische gewesen, da müsse ihre Antwort ebenso eine epische sein, und ob das denn ein Drama ergäbe?, und aus dem Wald hätte in dem Moment zum zweiten Mal die Eule oder das Käuzchen, oder was es eben war, in die Szenerie hereingerufen.
    Es war offensichtlich, daß es den Schauspieler nicht gerade eilte, das Anwesen und das Grasland rundherum zu verlassen. Daß beim Binden ein Schuhband abriß, es erschien ihm recht, und es wirkte vorsätzlich, daß ihm das Knoten der Krawatte immer wieder mißlang. Ohne zu suchen, fand er, indem er in noch eine fremde Kommode griff, eine andere, in grellen Farben, die so gar nicht zu Hemd und Anzug paßten. Und gerade das brachte ihn dann auf den Weg, ebenso wie die Entdeckung, daß er irrtümlich zwei
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