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Die Tore des Himmels

Die Tore des Himmels

Titel: Die Tore des Himmels
Autoren: Sabine Weigand
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Spielgefährtin taugte ich, solange ich tat, was sie wollte. Und ich nahm ihre Launen stets hin, was hätte ich auch sonst tun sollen?
    Jetzt hörten wir schon von draußen die Rufe der Eisenacher Bürger. Sie jubelten ihrer zukünftigen Landesherrin zu, während die ungarische Reisegesellschaft durch die Gassen des Städtchens fuhr. Unsere Spannung wuchs, bis endlich das Tor aufging und die Ankömmlinge einließ. Voran trabten zwei Herren auf edlen Pferden, deren Schabracken in den Thüringer Farben gehalten waren. Das waren wohl der Ritter Walter von Vargula und der Herr von Schlotheim. Ihre Reisemäntel waren voller Dreckspritzer, die Stiefel durchnässt. Dann kamen zwei schwarzgekleidete Herren, vermutlich ungarische Geistliche, zusammen mit einem Ehepaar mittleren Alters in fremdartiger Tracht. Das Kleid der Frau war vom pelzverbrämten Saum bis zu den Knien klatschnass. Ihnen folgten zwei große, von Planen überspannte Wagen, dann eine bequeme Kutsche und danach ein kleiner, feiner, geschlossener Reisewagen, den zwei hübsche Rotfüchse zogen. Den Schluss bildeten die Bewacher der kostbaren Fracht, wohl an die zwanzig bis an die Zähne bewaffnete Männer aus ungarischem und einheimischem Adel. Drei von ihnen trugen Fahnen, die im Herbstwind flatterten. »Andechs, Ungarn, Thüringen«, flüsterte mir der Hofpfaffe von hinten ins Ohr. Andechs, so dozierte er, hieß das mächtige Geschlecht, aus dem die Mutter der ungarischen Prinzessin stammte, verwandt und verschwägert mit den hervorragendsten Familien in aller Herren Länder, von Frankreich bis Schlesien. Aber ich hörte Meister Igilbert kaum zu, denn jetzt wurde das Türchen des kleinen Reisewagens geöffnet. Eine Amme von beträchtlicher Leibesfülle quälte sich heraus und winkte einen Diener herbei, der sich in die Kutsche beugte und ein vermummtes Etwas herausholte. Das Etwas regte sich nicht. Es war in eine Decke gewickelt, die auch den Kopf verhüllte, der nun an der Schulter des Lakaien lehnte. Ganz offensichtlich schlief die Braut! Wie langweilig! Da kam sie am glorreichen Hof der Landgrafen von Thüringen an, wo ihr Prinz auf sie wartete, und war nicht einmal wach! Der Mann trug seine reglose Last ohne Anstrengung über den Hof. Dabei baumelten zwei Füßchen unter der Decke hervor, die in leuchtendgrünen Schuhen steckten. Dann war die sehnlichst erwartete ungarische Braut auch schon im Eingang zum Herrschaftstrakt verschwunden.
     
    Später, nachdem es früher als sonst die Abendmahlzeit gegeben hatte, rief man uns Kinder hinüber in die Herrenkemenate. Im Gänsemarsch liefen wir über den gepflasterten Hof zum Hauptflügel, Agnes und die Buben voraus, ich wie immer hinterher. Wenn es schnell gehen musste, hinkte ich ja ein bisschen und kam den anderen nicht nach. Da sah ich etwas Buntes in einer Pfütze schimmern. Ich bückte mich – es war eines der winzigen Schühchen, die das ungarische Mädchen getragen hatte. Schnell hob ich es auf und nahm es mit.
    In der Hofstube war schon alles versammelt. Vorne saßen und standen die Vornehmen, und hinten drückten und drängelten sich die vom Gesinde. Es roch nach dem nassen Stroh, das den Boden bedeckte, nach Essen und nach den Ausdünstungen der vielen Leute. Man machte uns Platz, als wir, angeführt von der Kinderfrau, durch den Saal gingen. Und vorne, vor dem Kamin, da sahen wir sie endlich! Sie saß aufrecht und steif auf einem Scherenstuhl, ganz still und stumm. Man hatte sie in ein Kleid gesteckt, das zumindest uns Mädchen den Atem raubte: Der Surkot ganz aus golddurchwirktem Stoff, mit glänzenden Edelsteinen bestickt und am Hals mit Perlen umsäumt. Das Unterkleid klatschmohnrot, genau wie die Ärmel. Ein Gürtel raffte alles zusammen, aber was für einer! Lauter viereckige gehämmerte Goldplättchen, jedes mit einem roten Stein in der Mitte, verbunden durch dünne Kettchen! Ich sehe Elisabeth heute noch vor mir, wie sie, geschmückt wie eine große Braut, nur eben ganz winzig, auf dem viel zu hohen Stuhl thronte, die Füße ein ganzes Stück über dem Boden, verlegen an ihren Fingernägeln kauend. Zwei riesige Kerzenleuchter warfen ihr Licht auf die märchenhafte Braut und ließen die Steine an ihren Kleidern glitzern und glänzen. Ich war völlig gefesselt von dieser beinahe unwirklichen Erscheinung, bis mich Agnes unsanft mit dem Ellbogen in die Seite stieß. Und da sah ich der Neuen endlich ins Gesicht. Mir blieb der Mund offen stehen. Lieber Himmel, so hatte ich mir die zukünftige
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