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Der Gesang der Maori

Der Gesang der Maori

Titel: Der Gesang der Maori
Autoren: Emma Temple
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INDISCHER OZEAN, 1953

    1.
    Die Gluthitze der Kohle brannte heiß auf seinem Gesicht.
Seine Arme fühlte er schon seit Stunden kaum noch, aber John schaufelte weiter
die schwarzen Brocken in die gleißende Luke. Ein Nachlassen konnte er sich
nicht leisten. Der Aufseher hatte sie alle im Auge. Er sah sofort, wenn einer
der Arbeiter im immer gleichen Takt des Schaufelns langsamer wurde. Dann sparte
er nicht mit Hieben auf den Rücken, die Beine und die Arme. Als ob die bei der
pausenlosen Arbeit nicht ohnehin schon genug schmerzen würden. Der Krug mit dem
Wasser war der einzige Luxus, der den Arbeitern auf der Pacific Maiden
gestattet wurde. Kein Wunder, sonst würden sie bei der Arbeit im Funkenflug der
Kohleglut innerhalb eines halben Tages zusammenbrechen.
    Als John sich um diesen Job beworben
hatte, war ihm klar, dass keine entspannte Überfahrt auf ihn wartete. Aber so
hart hatte er es sich doch nicht vorgestellt. Kohle schaufeln – das klang nach
schwerer Arbeit, und die hatte er in seinem Leben noch nie gescheut. Aber
tatsächlich herrschte hier unten, bei den riesigen Maschinen im Bauch der
Pacific Maiden, eine nahezu unerträgliche Hitze. Dazu kam ein Mangel an
Sauerstoff, der für ständige Kopfschmerzen sorgte. Das unablässige Stampfen der
großen Kolben machte alles noch schlimmer.
    Die Schlafquartiere lagen nicht weit
entfernt von den Maschinen. Die Männer ruhten dort dicht gedrängt auf den
durchgelegenen Pritschen, die die Arbeiter der anderen Schicht erst kurz zuvor
geräumt hatten. John hatte keine Ahnung, mit wem er seine Pritsche teilte –
aber er schlief immer mit dem Schweiß des anderen in der Nase.
    Ein schriller Pfiff beendete seine Schicht für diesen Tag. Oder war
es Nacht? John hatte jedes Zeitgefühl verloren. Aber heute wollte er nicht
einfach nur einen harten Kanten Brot essen und dann in einen tiefen Schlaf
fallen – heute wollte er unbedingt einmal kurz an Deck gehen und seine Lunge
mit frischer Luft füllen. Das hatte er sich eigentlich für jeden Abend
vorgenommen, aber an den letzten Tagen hatte stets eine lähmende Müdigkeit
gesiegt.
    Erschöpft stieg er die vielen Stufen nach oben, es kam ihm vor, als
ob er aus dem Schlund der Hölle allmählich wieder ans Licht gelangen würde.
Eine letzte Stiege noch, dann schob er eine Metalltür auf und fand sich auf den
sauber geputzten Planken des großen Dampfers wieder. Langsam ging er zur
Reling. Tief unter ihm glitzerte der Indische Ozean, Plankton leuchtete in der
Bugwelle auf und verlieh der Schiffswand einen nahezu magischen Glanz. Sie
befanden sich irgendwo südlich von Indien. Nicht mehr lange, und sie würden den
Suezkanal durchqueren. John würde davon wahrscheinlich kaum etwas mitbekommen,
sondern wieder im Bauch des Schiffes festsitzen und Kohle schaufeln.
    Neugierig sah er sich um. Das Schiff gehörte seinem Vater, wie alle
Schiffe, die »Pacific« im Namen trugen. Er kannte seine Geschwindigkeit, seine
Größe, sein schon reichlich hohes Alter – so wie er es von allen Schiffen der
Pacific Shipping Company kannte. Wahrscheinlich war er sogar schon irgendwann
einmal an Bord gewesen, hatte sich dem Kapitän vorgestellt und höflich gelächelt,
als die Männer Witze über Erben und Nachfolge gemacht hatten. Johns Vater war
noch rüstig, der würde sich noch einige Jahrzehnte lang die Zügel der Reederei
nicht aus den Händen nehmen lassen – da war John sicher. Aber jetzt hatte er
Abschied von diesem Leben genommen. Endgültig. Er war nur einer der Männer, die
Kohle schaufelten – nicht mehr der Sohn des Besitzers. So hatte er es gewollt,
als er sich als »John Miller« in die Liste eingetragen hatte.
    Versonnen sah er in den Himmel hinauf. Es war Nacht, das Kreuz des
Südens lag auf der Seite, knapp über dem Horizont. Nicht mehr lange, und er
würde es nicht mehr sehen, das Gestirn, das während seiner ganzen Kindheit über
seinen Schlaf gewacht hatte. Künftig wollte er ein Leben in Deutschland führen,
bei seiner eigentlichen Familie. Neuseeland war Vergangenheit, nur eine Episode,
die fast zwei Jahrzehnte gedauert hatte …
    Die Tür hinter ihm quietschte leise, als sie noch einmal aufschwang.
Das Geräusch eines Feuerzeugs, für Sekunden beleuchtete die Flamme ein dunkles
Gesicht mit scharf geschwungener Nase, dann das Aufglimmen einer Zigarette und
wieder Dunkelheit. Der
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