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Die Tore des Himmels

Die Tore des Himmels

Titel: Die Tore des Himmels
Autoren: Sabine Weigand
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seinen eigenen Reisewagen, um das Kind des Vogts ins Frauenkloster Allendorf zu bringen, wo es fürs Erste gut aufgehoben sein würde. So trat das kleine Mädchen, von dem niemand im Dorf wusste, wie es hieß, seine erste große Reise an. Inzwischen vermisste es die Mutter schmerzlich, die Hüfte stach und pochte, und es fürchtete sich vor all den fremden Leuten. Die Korbflechters-Gret, die im Wagen mitfuhr, konnte die brüllende Kleine kaum beruhigen. Erst als die Ordensfrauen das Kind in Empfang nahmen, mit Apfelbrei fütterten und ihm warmen Würzwein mit Eigelb einflößten, wurde das Mädchen still und schlief erschöpft ein.
     
    Zwei Monate später, die militärischen Auseinandersetzungen hatten sich derweil in den Süden des Landes verlagert, erhielt das Nonnenkloster hohen Besuch. Landgräfin Sophia persönlich überbrachte eine Schenkung von beträchtlichem Wert, nämlich zehn Pfund bestes gelbes Bienenwachs für Altarkerzen sowie acht Ballen fein gewebtes niederländisches Tuch für neue Paramente. Außerdem hatte sie vor, einen Jahrtag zu stiften, verbunden mit der flehentlichen Bitte an den himmlischen Herrn, er möge das Land und seine Menschen bald vom Krieg erlösen.
    Als die Nonnen ihr nun das unglückliche kleine Mädchen zeigten, das vor kurzem die Eltern verloren hatte, sah sie das Kind mitleidig an.
    »Wie heißt sie denn?«, fragte sie die Äbtissin.
    »Wir haben herausgefunden, dass sie auf den Namen Gislind getauft wurde«, antwortete die Klosterfrau. »Sie ist so ein liebes Ding. Brav und ruhig. Wer weiß, was sie alles mitansehen musste. Und verletzt war sie auch, sie hinkt immer noch ein wenig.«
    Die Landgräfin nahm das Mädchen auf den Arm. Sie war eine achtunggebietende Erscheinung, groß, blond, mit herben, fast männlichen Zügen und dem energischen Kinn der Wittelsbacher, von denen sie abstammte. Nur wenige Menschen wagten in ihrer Gegenwart ein Lächeln. Die Kleine hingegen sah sie ohne jede Angst an, grapschte ihr mit beiden Händen in die Rüschen der Kruselhaube und begann fröhlich zu glucksen, als eine Schleife aufging und darunter eine helle Haarsträhne zum Vorschein kam. Zwei spitze Zähnchen zeigten sich, die so gar nicht in das kleine Engelsgesicht passten. Sophia musste wider Willen lachen. »Hat sie denn keine Verwandten, zu denen man sie bringen könnte?«, erkundigte sie sich.
    Die Äbtissin schüttelte den Kopf. »Sie wird wohl ihre Heimat bei uns im Kloster finden müssen«, meinte sie, »Gottes Wille geschehe.«
    »Nun«, überlegte Sophia, »vielleicht gibt es noch eine andere Möglichkeit.« Sie dachte an ihr eigenes Töchterchen, gerade einmal ein paar Monate alt. Die kleine Agnes würde weibliche Gesellschaft brauchen; nur mit großen Brüdern aufzuwachsen war nicht gut für ein Mädchen. Und ein Kind aus ordentlichem Ministerialengeschlecht, dessen Eltern noch dazu im Kampf für den Landgrafen ihr Leben gelassen hatten, schien als Spielgefährtin und spätere Zofe mehr als geeignet. Also warum eigentlich nicht, dachte Sophia, die arme Waise in den Landgrafenhaushalt aufnehmen? Sie würde damit ein gottgefälliges Werk tun und gleichzeitig ein Zeichen setzen für den thüringischen Adel. Der Landgraf vergaß die Seinen nicht.
    »Macht das Kind reisefertig«, befahl Sophia, setzte die Kleine ab und richtete ihren Kopfputz. »Sie soll am Hof aufwachsen und meiner Tochter eine Gefährtin sein.«
    So begab sich das Mädchen auf die zweite lange Fahrt ihres Lebens, diesmal zur Creuzburg an der Werra, wo die landgräfliche Familie sich derzeit aufhielt. Im Frauenzimmer richtete man ihr einen Schlafplatz neben der Wiege der Fürstentochter ein, und von da an war der herrschaftliche Hof ihre Heimat.

Gisas Geschichte, aus der Erinnerung erzählt
    D as Erste, woran ich mich erinnere, ist die Musik. Ich muss noch ganz klein gewesen sein, kaum drei Jahre alt, und überall waren Töne. Lautenklänge umschmeichelten mich, Harfengezirp, Flötenspiel und Gesang. Der ganze Hof war erfüllt von Melodien, wie ein sanfter Wind wehten sie leise durch Gänge und Räume. Und alles war bunt. Die Frauen trugen Kleider in schimmernden Farben, schöner als alle Frühlingsblumen. Wandteppiche erzählten ihre Geschichten in Rot, Gelb und Blau, Vorhänge glänzten grünsamten, Kissen und Polster waren golddurchwirkt oder mit Waid gefärbt, und selbst die Gewänder der Dienerschaft leuchteten noch in den thüringischen Farben Blau, Weiß und Rot. Nichts war grau und langweilig, so wie
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