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Die Tore des Himmels

Die Tore des Himmels

Titel: Die Tore des Himmels
Autoren: Sabine Weigand
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Waffenmeisters gefahren, worauf der Staufer sich geärgert und beschlossen hatte, die unverschämte Festungsbesatzung zu strafen. Jetzt gab er Befehl zur nächsten Angriffswelle. Wieder warfen sich die Kämpfer nach vorn, wieder stießen die Verteidiger die Leitern fort oder empfingen diejenigen, die an den Hakenseilen emporkletterten, mit einem tödlichen Schwerthieb.
    Am Ende gab der Tribock den Ausschlag. Das neuartige Riesenkatapult, ungleich schwungkräftiger als die althergebrachten Pleiden, schleuderte einen Steinbrocken von der Größe eines ausgewachsenen Ochsen gegen die ohnehin baufällige Burgmauer. Durch die entstandene Bresche drangen die Soldaten des Stauferkönigs in die kleine Festung ein, mit Geheul stürzten sie sich auf die wenigen Verteidiger: die beiden Torwarte, den Turmwächter, ein paar Wachsoldaten, den Schmied samt Gehilfen und den Burgvogt mit seiner männlichen Verwandtschaft. Mit schwäbischer Gründlichkeit machten die Ritter des Königs alles nieder, was sich ihnen in den Weg stellte. Das Pflaster vor dem Bergfried färbte sich rot und glitschig vom Blut der Burgmannen, die ihre wichtigste Bastion bis zum letzten Atemzug verteidigten. Dann stürmten die Angreifer den Rundturm hinauf. Im dritten Geschoss brachen sie die verrammelte Tür zum Wohngemach der Vogtsfamilie auf, zerrten dann die junge Vögtin und ihre Magd in den Hof, wo man die beiden kurzerhand vergewaltigte und anschließend in der Rossschwemme ertränkte. Dann war alles vorüber.
    Als die Soldaten später den Turm nach Plündergut durchstöberten, entdeckten sie in der Kemenate ein Kleinkind friedlich in seiner Wiege. Offensichtlich hatte das Mädchen den gesamten Angriff verschlafen, aber nun wachte es auf und starrte die Eindringlinge stumm an. Die Männer standen da, Waffen in der Hand, aber keiner wollte so recht sein Schwert in den Leib eines wehrlosen Kindes versenken, das zu allem Überfluss mit seinem hellblonden Haar und den großen blauen Augen aussah wie ein Engel. Die tapferen Eroberer blickten sich unschlüssig an, bis das Mädchen unglücklicherweise zu schreien anfing. Da packte einer der Kerle die Kleine, hob sie aus dem Bettchen und warf sie kurzentschlossen zum Fenster hinaus.
     
    Danach bliesen die Businen zum Aufbruch; König Philipp hatte nicht vor, sich mit der unwichtigen kleinen Burg länger aufzuhalten als unbedingt nötig. Sein Heer zog noch am Nachmittag weiter.
    Sobald der Feind fort war, kamen die Bewohner des winzigen Fleckens, der später einmal Waltershausen heißen sollte, aus ihren Verstecken und rannten den Weg zur Burg hoch. Sie bargen die Leichen, suchten nach Brauchbarem und schleppten weg, was nicht niet- und nagelfest war. Die bucklige Frau des Korbflechters stopfte gerade beim Pferdestall ein paar Rüben in ihren Mantelsack, als sich im Strohhaufen vor der Sattelkammer etwas bewegte. Und noch während sie sich wunderte, krabbelte aus dem Fressvorrat der Burgklepper ein vielleicht anderthalbjähriges Kind heraus und purzelte dann seitlich den Haufen hinunter, ihr genau vor die Füße.
    »Du meine Güte«, murmelte die Alte, »hast dich wohl da drin versteckt?« Sie kam gar nicht auf den abwegigen Gedanken, dass die Kleine von hoch droben aus dem Kemenatenfenster in den genau darunterliegenden Haufen gefallen sein könnte.
    Das Mädchen kratzte sich überall, weil der Strohstaub schrecklich juckte. Dann rappelte es sich auf und machte ein paar unsichere Schritte. Es hinkte, und als es den Schmerz in der Hüfte spürte, begann es zu weinen.
    Die Korbflechters-Gret ließ ihre Rüben fallen und nahm die Kleine auf den Arm. Dann lief sie mit dem plärrenden Kind, so schnell sie konnte, zu den anderen.
     
    Man beschloss, die einzige Überlebende der Erstürmung erst einmal mit ins Dorf zu nehmen und dem Landgrafen Nachricht über das ganze Unglück zukommen zu lassen. Dabei wusste man nicht einmal, wo sich Hermann I. überhaupt aufhielt. Seit König Philipp in Thüringen eingefallen war, um den abtrünnigen Landgrafen zu strafen, zog dieser von Burg zu Burg, stellte sich aber keiner Schlacht. So kamen die Bauern denn überein, einen der Ihren ins nahe Kloster Reinhardsbrunn zu schicken, um wenigstens dort Bescheid zu geben. Und um zu fragen, was man denn nun mit dem armen kleinen Ding, der Tochter des toten Burgvogts, Gott hab ihn selig, anfangen sollte.
    Von Reinhardsbrunn erhielt man zum einen die Zusage, den Landgrafen von dem Debakel zu unterrichten, zum anderen schickte der Abt
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