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Die Tochter des Königs

Titel: Die Tochter des Königs
Autoren: Barbara Erskine
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ihren Stuhl zurück und stand auf.
    Mehrere Minuten suchte sie alles gründlich ab, ohne eine Quelle für das Geräusch zu entdecken, dafür fühlte sie sich zunehmend unbehaglich. Als wäre jemand oder etwas bei ihr und beobachtete sie. Sie glaubte, den Blick im Nacken förmlich spüren zu können.
    »Ist da jemand?« Selbst in ihren eigenen Ohren klang ihre Stimme ängstlich.
    Sie stellte sich in die Tür und sah nach draußen. Der Viehstall stand im rechten Winkel zum Haus mit den weiß getünchten Mauern und dem mit alten Waliser Schieferschindeln gedeckten Dach. Ein kleiner Neubau, der sogenannte
Durchgang, verband das Haus mit der Küche. Die Tür im Viehstall führte direkt auf den L-förmigen Hof hinaus, wo ihr Auto zwischen Tontöpfen voll Lavendel und Rosmarin geparkt stand. Steph seufzte. Als sie das alte Bauernhaus gekauft hatte, war seine abgeschiedene Lage einer der großen Vorzüge gewesen, und meist genoss sie die Stille immer noch sehr, zumal die Ruhe selten lange währte, da sich Freunde bisweilen die Klinke in die Hand gaben. Aber in letzter Zeit war ihr nicht mehr ganz behaglich, wenn sie im Haus allein war. Sie hatte das Gefühl, beobachtet zu werden. Als wäre jemand oder etwas mit ihr im Haus. Kein menschliches Wesen. Damit könnte sie umgehen, oder das glaubte sie zumindest. Nein, es war etwas weniger Greifbares. Etwas Düsteres. Und es waren auch nicht die Geräusche, obwohl sie feststellte, dass sie ständig lauschte und das Klicken und Klappern auch über das Radio hinweg hörte. Nein, es war etwas anderes.
    Sie drehte sich zum Atelier um und erstarrte. Für den Bruchteil einer Sekunde hatte sich hinten am Tisch ein Schatten bewegt. Sie blinzelte, und er war fort. Oder hatte nie existiert.
    Draußen flog eine Krähe krächzend übers Tal, ihr Schatten fiel als dunkler Fleck auf die warmen Pflastersteine im Hof. Das hatte sie gesehen. Den Schatten eines Vogels. Erleichtert drehte sie sich wieder um, als in der Küche das Telefon klingelte.
    »Steph, hier ist Kim.« Die muntere Stimme schien den Raum mit warmem Sonnenlicht zu füllen. »Hast du über meine Einladung nachgedacht? Komm doch nach Rom, Steph. Bitte. Du kannst hier arbeiten. Du kannst machen, wozu du Lust hast. Ich bin ganz allein in der Wohnung. Alle sind den Sommer über verreist, und ich fahre erst in ein paar Wochen an die Seen. Ich brauch dich hier!«

    Steph warf einen unbehaglichen Blick über die Schulter zu der Tür, die ins Atelier führte. Als Kim sie das erste Mal eingeladen hatte, hatte sie gezögert. Rom im Sommer war unerträglich heiß und laut. Kim war nach knapp zehnjähriger Ehe mit ihrem wunderbaren, sie vergötternden älteren Mann als Witwe in einer wunderschönen Wohnung in einem Palazzo zurückgeblieben, dazu als Alleinerbin seines nicht unbeträchtlichen Vermögens. Sie konnte nicht so unglücklich sein, wie sie vorgab. Oder vielleicht doch? Außerdem war die Einladung zu verlockend, um ihr zu widerstehen. Was hatte sie, Steph, schon zu verlieren? Im höchsten Fall eine Wochenproduktion ihrer Keramik. Weniger, wenn sie und Kim sich nicht mehr so gut verstehen sollten wie früher am College. Eine halbe Stunde später hatte sie den Computer hochgefahren, um einen Flug zu buchen, und im Schrank nach ihrem Koffer gesucht.
     
    Jess lächelte verständnisvoll, während ihre Schwester endlos weiterplapperte, bis sie schließlich eine Pause machte.
    »Jess? Bist du noch dran? Freust du dich nicht für mich? Du weißt doch, dass Kim und ich in Kontakt geblieben sind, oder?«
    »Super, Steph. Es ist bloß …« Jess sah gequält drein. »Ich hatte dich fragen wollen, ob ich nicht eine Weile nach Ty Bran kommen kann. Ich habe die Nase voll von London und brauche dringend einen Tapetenwechsel. Einen Ort, wo mich niemand findet. Ich möchte in Ruhe ein bisschen malen. Und vielleicht mein Leben neu planen. Ich könnte ja etwas ganz anderes machen, mich zum Beispiel als Malerin durchschlagen.« Es war nicht nötig, Steph den wahren Grund zu erzählen und ihr den Tag zu verderben, nicht nötig, ihr das Gefühl zu vermitteln, sie müsste ihren Urlaub in Rom absagen.

    »Das ist ja toll!« Stephs Aufregung trübte ihre sonst gut entwickelte Fähigkeit, die Stimmung ihrer Schwester auszuloten. »Du bist hier jederzeit willkommen. Ich würde mich riesig freuen, wenn du dich ums Haus kümmern würdest. Die Topfpflanzen müssen gegossen werden. Es wäre ideal, wenn du kommst! Und hier kannst du in aller Ruhe und nach
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