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Die Tochter des Königs

Titel: Die Tochter des Königs
Autoren: Barbara Erskine
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lachte und tat, als wollte er Ash einen Tritt gegen den Kopf versetzen, Ash warf noch eine Kusshand in Richtung ihres Hauses, dann drehten die beiden sich um und schlenderten unbekümmert auf die U-Bahn-Station und die geschäftige High Street zu.
    Jess trat vom Fenster zurück. Er konnte sie unmöglich gesehen haben. Die Entfernung war viel zu groß. Außerdem wusste er nicht, wo sie wohnte. Nein, verbesserte sie sich, eigentlich durfte er nicht wissen, wo sie wohnte. Sie spürte, wie sich eisige Kälte in ihr ausbreitete. Er war es gewesen. Ash war es gewesen, und jetzt verhöhnte er sie. O mein Gott, was sollte sie bloß tun? Er gab ihr zu verstehen, was er getan hatte, und frohlockte in dem Wissen, dass sie ihm nichts würde nachweisen können. Forderte sie dreist heraus, es zu versuchen. Deswegen verbeugte er sich vor ihr. Ihr Musterschüler. Sie hatte geglaubt, sie habe sein Vertrauen und seinen Respekt gewonnen, und so dankte er es ihr.
     
    Am Montagmorgen rief sie Brian Barker an und kündigte gleich am Telefon. Sie sagte, sie sei krank und zu ausgepowert, um weiter zu unterrichten. Alle Versuche, sie umzustimmen, unterband sie, indem sie das Telefon leise stellte. Dann ging sie zu ihrer Ärztin, die bestätigte, dass ihr Erinnerungsverlust durchaus von einer Droge hervorgerufen worden sein konnte. Jess ließ sich die Pille danach geben. An einen AIDS-Test hatte sie nicht gedacht, ebenso wenig wie an die anderen Tests, auf die die Ärztin bestand. »Jess, wenn Sie nicht wissen, wer es war, dürfen Sie kein Risiko
eingehen«, sagte sie sanft. »Die blauen Flecken, die Steifheit in den Muskeln - Sie waren eindeutig nicht aus freien Stücken Geschlechtspartnerin. Sie haben Recht, Sie sind vergewaltigt worden, und Sie sollten zur Polizei gehen.« Was das betraf, hatte Jess ihre Meinung allerdings nicht geändert. Sie verbrachte den Rest des Tages versunken in Depression und Selbstmitleid.
    Kurz nach fünf Uhr klingelte es an der Tür. Dieses Mal machte sie auf. Draußen stand Daniel. Als er ihr weißes Gesicht sah, zögerte er kurz, dann trat er an ihr vorbei ins Wohnzimmer und setzte sich in den Sessel am Fenster. »Was höre ich da, du willst kündigen? Das kannst du nicht machen! Die Schule braucht dich. Ich brauche dich in meinem Fachbereich. Außerdem hast du ein Trimester Kündigungsfrist.«
    »Ich habe Brian gesagt, dass ich krank bin«, sagte sie nach kurzem Schweigen.
    »Und? Stimmt das?« Er musterte ihr Gesicht.
    Sie zuckte mit den Schultern. »Nein. Doch. Ich habe meine Gründe, Daniel. Es tut mir leid, dass ich dich hängen lasse.« Trotzig hielt sie seinem Blick stand, bis sie schließlich doch wegschaute. Sie balancierte auf der Kante des Stuhls, der seinem Sessel gegenüberstand.
    »Du bist die beste Literaturlehrerin, die ich habe. Du hast Wunder gewirkt, Jess. Du gehörst einfach zu unserem Team«, sagte er nachdenklich. »Kannst du mir nicht verraten, weshalb du gehen willst?« Er kniff die Augen zusammen und beobachtete sie genau.
    »Es tut mir leid«, sagte sie kopfschüttelnd und schauderte trotz der warmen Luft, die zum offenen Fenster hereinwehte.
    »Jetzt komm, ich will den Grund wissen. Was kann so schlimm sein? Hat es mit William zu tun? Ich habe gesehen,
dass er dich gestern Abend bei der Disco belästigt hat.«
    Sie zuckte nur wieder mit den Schultern.
    »Jess?« Er beugte sich vor und legte ihr eine Hand aufs Knie.
    Bei seiner Berührung zuckte sie zusammen, und stirnrunzelnd lehnte er sich wieder zurück. »Was ist denn los?«
    Sie schüttelte den Kopf.
    »Es ist William, stimmt’s? Er hat etwas gemacht, das dich völlig aus der Bahn geworfen hat.« Er stand auf und ging vor ihr auf und ab. »Hat er dir wehgetan?«
    Wieder schüttelte sie den Kopf. Sie konnte es ihm nicht sagen. Sie konnte niemandem sagen, was passiert war.
    »Es ist William, stimmt’s?«, wiederholte Dan. »Dem arroganten Schwein habe ich nie über den Weg getraut!«
    »Er hat nichts damit zu tun, Daniel.« Sie zerpflückte ein Papiertaschentuch.
    »Ihr habt euch auf der Party doch gestritten, das habe ich mit eigenen Augen gesehen.«
    »Nicht schlimm.«
    »Für mich sah’s ziemlich schlimm aus.« Nachdenklich kniff er die Augen zusammen, einen Moment herrschte Stille. »Wann habt ihr euch getrennt?«
    »Das geht dich nichts an, Daniel. Ich will nicht darüber reden.«
    »Er sah ziemlich sauer aus, als du nach der Disco nach Hause gegangen bist. Er hätte dir und Ashley folgen können.« Wieder herrschte
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