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Die Tochter des Königs

Titel: Die Tochter des Königs
Autoren: Barbara Erskine
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Stille, die dieses Mal noch etwas länger währte. »Es war Ashley! Ashley hat etwas gemacht!«, sagte Daniel schließlich leise. »Der miese Schuft! Was ist passiert, Jess?«
    »Nichts.« Sie ballte die Hände zur Faust. »Lass es gut sein, Daniel.«

    In der Stille, die nun einsetzte, sah sie Ash vor sich, wie er am Gitter beim Eingang zum Park stand. Die Verneigung. Die Arroganz, mit der er zu ihrem Fenster hochschaute. Die Kusshand. Sie wollte das Bild aus ihrem Kopf verbannen, doch es gelang ihr nicht. Sie hatte mit ihm getanzt. Sie mochte ihn, sie hatte ihn gefördert. Vielleicht hatte sie falsche Hoffnungen in ihm geweckt. Sie seufzte bekümmert. Er war so begabt, würde ein herausragendes Abschlusszeugnis bekommen. Wenn sie ihn anzeigte, müsste er all seine Träume begraben. Die polizeilichen Ermittlungen würden für ihn das Ende bedeuten, selbst wenn sie sich irrte. Von dem Verdacht würde er sich nie mehr reinwaschen können.
    »Dein Entschluss steht also fest.« Daniel gab es auf, sie weiter zu bedrängen. »Du willst wirklich an der Schule aufhören?« Er beobachtete sie so eindringlich, dass Jess den Eindruck bekam, er könnte ihre Gedanken lesen. Sie nickte.
    Ein paar Sekunden sah er sie schweigend an. »Also gut. Ich regle alles mit Brian.« Offenbar war er zu dem Schluss gekommen, dass es sinnlos war, sie umstimmen zu wollen. »Mach dir keine Sorgen, du bekommst ein erstklassiges Arbeitszeugnis, dafür sorge ich schon. Wenn du das willst. Du findest bestimmt eine gute Stelle an einer privaten Mädchenschule. Genau das Richtige für dich.« Er lachte schrill. Als Jess unvermittelt die Bitterkeit in seinem Ton bemerkte, verzog sie das Gesicht. »Nimm dir den Sommer frei, Jess«, fuhr er fort. »Vergiss alles, was dir so zu schaffen macht, und fang im Herbst neu an!« Er tätschelte ihr wieder das Knie. »Was immer es war, Jess, denk einfach nicht mehr dran. Denk lieber an die Zukunft.«

Kapitel 2
    S tephanie Kendal saß an ihrer Werkbank und bemalte die kleinen Becher, die bis auf die Verzierungen fertig waren und gleich zum letzten Brand in den Ofen gestellt werden würden. Nach einem kurzen Blick zum Fenster runzelte sie die Stirn. Das Sonnenlicht war aus dem Garten verschwunden, lange Schatten wanderten über das Gras zum Atelier, in dem sie saß und Radio hörte. Sie stellte es aus. In der plötzlichen Stille konnte sie durch die offene Tür eine Drossel singen hören. Stephanie war zwar etwas kleiner, etwas fülliger und etwas älter als ihre Schwester Jessica, trotzdem bestand eine unverkennbare Ähnlichkeit zwischen ihnen. Das war das Vermächtnis ihrer Mutter Aurelia Kendal, und von der hatten sie auch ihre Liebe zur Literatur, ihre künstlerische Ader, ihren Charme und ihre Unangepasstheit geerbt. Als Gegenreaktion auf die Entscheidung ihrer Mutter, als Einsiedlerin in einem Häuschen in der Wildnis der Basses-Pyrénées zu leben, wenn sie nicht gerade in ihrer Eigenschaft als Reiseschriftstellerin und -journalistin durch die Welt streifte, hatte es ihre Töchter am Ende des Lehramtsstudiums nach London gezogen. Jess lebte immer noch dort, aber Steph war dem Ruf der Kindheit gefolgt, hatte der Großstadt den Rücken gekehrt und mit der Abfindung nach ihrer Scheidung dieses Traumhaus in Wales gekauft, ein kleines Bauernhaus in den Bergen,
nicht weit von dem Ort, in dem ihre Mutter gelebt hatte, ehe sie die Waliser Berge gegen die französischen Pyrenäen eingetauscht hatte.
    Mittlerweile war Steph sich nicht mehr so sicher, ob sie wirklich die richtige Entscheidung getroffen hatte.
    Sie legte den Pinsel aus der Hand und wischte sich die Finger an einem Lappen ab. Das Geräusch war so leise gewesen, dass sie es über die Radiomusik kaum wahrgenommen hatte. Ein kleines Klicken von der anderen Seite des Ateliers.
    Sie betrachtete die Regale, auf denen die Töpferwaren standen, die Tüten mit Ton, die Behälter mit Lasur und Pigmenten, die auf dem Tisch vor der Wand standen. Die unebenen Steine des alten Kuhstalls waren weiß getüncht, die Rahmen der schmalen Fenster lackiert, die Deckenbalken hoch über sich gestrichen. Hier und da waren ansprechende Eisenhaken eingelassen, an denen Lampen hingen sowie ein Glasmobile, das leise in der Zugluft klimperte - das Geschenk eines ihrer vielen Verehrer. Da war es wieder: ein Klicken, gefolgt von einem Klappern. Da war wohl wieder einmal ein Vogel oder ein Tier durch die offene Tür hereingekommen und stöberte auf den Regalen umher. Lautlos schob Steph
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