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Die Tochter des Königs

Titel: Die Tochter des Königs
Autoren: Barbara Erskine
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Wohnungstür hinter ihr noch sperrangelweit offen stand.
    »Wie geht es dir, Jess? Bist du schon drüber weg?« Die Stimme war gedämpft, tief. Keine Stimme, die sie kannte.
    »Wer ist dran?« Die Plastiktüten waren vom Tisch gefallen. Jess lief zur Wohnungstür und warf sie ins Schloss, hängte hektisch die Kette ein. »William, bist du das?« Er hatte zwei- oder dreimal angerufen, aber sie hatte sich geweigert, mit ihm zu reden.
    Keine Antwort. Mehrere Sekunden blieb die Verbindung bestehen, sie ahnte den Anrufer am anderen Ende, spürte, wie er zuhörte, lauschte. Dann legte er auf.

    Sie setzte sich an den Tisch, stützte den Kopf auf die schweißnassen Hände und versuchte, sich zu beruhigen. Die Polizei. Sie sollte sofort die Polizei anrufen. Aber was würde sie ihnen sagen? Sie hatte beschlossen, niemandem von der Sache zu erzählen, und davon würde sie nicht abrücken. Abrupt setzte sie sich auf, griff mit zitternden Händen wieder nach dem Mobilteil und drückte die Taste für eingehende Anrufe. Nichts. Der Anrufer hatte seine Nummer unterdrückt.
    Eine halbe Stunde später klingelte das Telefon wieder. Sie starrte es mehrere Sekunden an, ehe sie abhob.
    »Jess, ich wollte nur hören, ob du von der Sekretärin alles bekommen hast.« Es war Daniel, er rief von der Schule aus an. Als sie nicht sofort antwortete, fragte er alarmiert. »Jess, was ist los? Was ist passiert?«
    »Daniel, ich bekomme Anrufe. Wenn ich rangehe, ist niemand dran. Dieses Mal hat er gefragt, wie’s mir geht. Dann hat er aufgelegt.«
    »Hast du seine Stimme erkannt?«
    »Nein.«
    »Dann war’s also nicht William?«
    »Ich glaube nicht. Ich weiß es nicht. Du hast William doch nicht erzählt, wohin ich fahre, Daniel, oder?« Daniel war der Einzige, dem sie Bescheid gesagt hatte; schließlich kannte er Steph genauso lange wie sie. Sie waren alle zusammen aufs College gegangen.
    »Du hast mir das Versprechen abgenommen, es niemandem zu sagen.«
    »Ich meinte es ernst.« Jess biss sich auf die Unterlippe.
    »Wenn’s nicht William war«, sagte er nachdenklich, »könnte es Ash gewesen sein.«
    Sie holte tief Luft. »Nein. Ja. Ich weiß nicht.«
    »Ash ist ein Schauspieler. Er weiß, wie man die Stimme verstellt. Also gut, Jess, eigentlich dürfte er deine Telefonnummer
nicht haben, aber die kann doch jeder herausfinden. Er hätte sie sich besorgen können, als er bei dir in der Wohnung war.« Er schwieg kurz. »Er war doch bei dir in der Wohnung, oder, Jess?« Als sie nicht reagierte, fuhr er fort: »Er könnte sie aber auch in Janes Büro nachgeschlagen haben. Natürlich dürfen die Schüler das Sekretariat eigentlich nicht betreten, aber sie tun es trotzdem.«
    Jess nickte stumm.
    »Soll ich zu dir kommen?«
    »Nein. Daniel, mach dir keine Sorgen. Ich komm schon zurecht.«
    »Du weißt, wo ich zu finden bin, wenn du mich brauchst. Wann fährst du?«
    »In ein oder zwei Tagen. Sobald ich den ganzen Behördenkram erledigt habe.«
    »Also gut. Pass auf dich auf. Ich ruf morgen wieder an, ja?«
    Ihr Koffer lag offen auf dem Bett. Sie faltete gerade die letzten Kleidungsstücke zusammen, als wieder das Telefon klingelte. Einen Moment zögerte sie, ihr Herz klopfte zum Zerspringen, dann nahm sie den Hörer ab. Niemand meldete sich.
    »Hallo?« Sie zitterte. »Wer ist dran? Sagen Sie’s mir! Ash, bist du das?« Sie bekam keine Antwort. »Hallo!« Sie schüttelte das Mobilteil. »Hallo? Wer ist dran?«
    Vom anderen Ende der Leitung hörte sie ein leises Lachen. Eine männliche Stimme, tief. Anonym.
    Mit einem ängstlichen Aufschrei legte sie den Hörer in die Ladestation. Dem Schwein machte das richtig Spaß. Aber die Befriedigung würde sie ihm nicht mehr lange geben. Sie warf einen Blick auf die Uhr. Sie könnte noch heute Abend fahren. Jetzt sofort. Es gab nichts, das sie noch eine Sekunde länger hier hielt. Sie hatte sogar eine Mieterin gefunden,
die ihre Wohnung eine Weile hüten würde. Und wenn sie jetzt fuhr, konnte sie noch einen Tag mit Steph verbringen, bevor ihre Schwester nach Rom flog. In Wales war sie gut aufgehoben. Niemand würde sie dort finden. Sie warf einen Blick auf ihr Handy. Sie konnte nur hoffen, dass derjenige ihre Mobilnummer nicht hatte. Das war ein weiterer Grund, warum sie William eigentlich eher ausschloss. Er hatte ihre Handynummer, er kannte Stephs Adresse - er war sogar ein paarmal in Ty Bran gewesen. Er wusste alles, was es über sie zu wissen gab. Er konnte nicht derjenige sein, der ihr so zusetzte. Wenn
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