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Die Tochter des Königs

Titel: Die Tochter des Königs
Autoren: Barbara Erskine
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Minuten, in denen sie das Auto geholt hatte, hier gewesen war, war wieder fort. Sie schloss die Wohnungstür, atmete tief durch und nahm den Blumenstrauß in Augenschein. Zwischen
den rosa und blauen Chrysanthemenblüten in der aufwendigen rosa Zellophanverpackung mit Schleifchen steckte ein Umschlag. Hastig zog sie ihn heraus und öffnete ihn.
     
    Wir beide, die wir uns mit tausend Seufzern
Gewonnen, müssen ärmlich uns verkaufen
Für eines einz’gen abgebrochnen Hauch.
Der rohe Augenblick, mit Diebes Hast,
Zwängt ein den reichen Raub fast unbesehn.
So viel Lebwohl als Stern’ am Himmel, jedes
Mit eig’nem Kuss und Abschiedswort besiegelt,
Rafft täppisch er zusammen in ein Wort,
Und speist uns ab mit einem dürft’gen Kuss,
Verbittert mit dem Salz verhaltner Tränen.
     
    Vielen Dank für alles.
    Ash
     
    Darunter hatte er hastig hingekritzelt:
Deine Tür stand offen.
Schade, dass wir uns nicht mehr gesehen haben. A. xx
     
    Ash war in ihrer Wohnung gewesen. Nicht William. Ash, der aus Troilus und Cressida zitierte. Er musste sie beobachtet und gewartet haben, bis sie das Haus verließ, um dann hereinzuschlüpfen. Schaudernd schloss sie die Augen.
    In zehn Minuten hatte sie das Auto beladen, musste mit den vielen Kartons und Taschen mehrmals die Treppen hinunterlaufen, vergewisserte sich jedes Mal, dass er sich nicht noch auf dem Bürgersteig herumtrieb. Endlich hatte sie alles verstaut. Sie ging ein letztes Mal in die Wohnung, um
zu sehen, ob sie auch nichts vergessen hatte. Nur die Blumen. Angewidert stopfte sie sie mitsamt der Karte in den Müll. Dann verließ sie die Wohnung, zog die Tür ins Schloss, drehte den Schlüssel zweimal um und ging zum Auto.
    Dort ließ sie sich in den Fahrersitz fallen, knallte die Tür zu und atmete tief durch, um sich zu beruhigen. »Jetzt ist alles gut. Er ist nicht hier. Er weiß nicht, wohin ich fahre. Jetzt kann mir nichts mehr passieren.« Sie flüsterte die Worte vor sich hin, während sie den Schlüssel ins Zündschloss steckte und den Motor anließ.

Kapitel 3
    A ls der alte Ford Ka über den Feldweg nach Ty Bran hinaufholperte, schaute Jess aus zusammengekniffenen Augen zum kleinen, weitläufigen Bauernhaus ihrer Schwester, das sich an den bewaldeten Abhang schmiegte, und eine Woge des Glücks und der Erleichterung überflutete sie. Das Gefühl verebbte ein wenig, als sie in den Hof fuhr und den Motor abstellte. Wo war Stephs Auto? Offenbar kam sie zu spät, Steph war schon fort - warum sollte die Haustür sonst geschlossen sein? Das hatte Jess noch nie erlebt, nicht einmal im Winter.
    Mit steifen Beinen von der langen Fahrt stieg sie aus und sah sich um. Entschlossen wehrte sie sich gegen das Gefühl von Einsamkeit, das sie zu übermannen drohte, und machte sich auf die Suche nach dem Schlüssel. Er lag an derselben Stelle wie immer, unter einem Blumentopf auf dem Absatz vor der Tür. Er war voller Spinnweben, ein Zeichen dafür, wie selten er benutzt wurde. Als Jess sich nach ihm bückte, flatterte eine Schwalbe empört aus dem Nest, das sich an der Mauer über Jess’ Kopf befand, und eine Schar halbflügger Schwälbchen schaute schreiend auf sie herab.
    Sie steckte den Schlüssel ins Schloss, drehte ihn mit Mühe um und ging hinein.
    Im Inneren herrschte gespenstische Stille. Steph führte ein geselliges Leben, ständig kamen Leute zu Besuch - Künstler
und Schriftsteller, die der Stadt entfliehen wollten, Exfreunde und -ehemänner, die sich noch erstaunlich gut mit ihr verstanden, ehemalige Kollegen und Kolleginnen von der Kunstakademie in Westlondon, wo Steph zehn Jahre lang unterrichtet hatte, bevor sie sich ausschließlich auf das Töpfern verlegt hatte. Dazu gesellten sich Menschen, die sie auf ihren Reisen kennengelernt hatte, Tiere, die ihr nach Hause gefolgt waren, sowie verlorene Seelen, die ihre Mutter im Zuge ihrer Recherchen aufgelesen und unbekümmert an ihre Tochter in Wales verwiesen hatte. Während Jess das Auto auslud und sich daranmachte, das Haus zu erkunden, das den Sommer über ihr Königreich sein würde, erwartete sie, jeden Moment ein verschlafenes Gesicht aus einem der Zimmer auftauchen zu sehen, eine streunende Katze, ein verwaistes Lamm, einen obdachlosen Künstler. Aber da war niemand. Das Haus war sauber und ordentlich und leer. Auf dem Küchentisch lag neben einer Schachtel Nougat ein Zettel.
     
    Tut mir leid, dass ich nicht hier bin, um dich zu begrüßen. Genieß die Stille. Bleib, solang du magst - und das meine ich
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