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Die Tochter des Königs

Titel: Die Tochter des Königs
Autoren: Barbara Erskine
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doch, dann war sie verloren. Er würde sich sofort zusammenreimen, wohin sie geflohen war.
    Daniel war der schwache Punkt in ihrem Plan. Der Einzige, der wusste, wohin sie wirklich fuhr. Beim dritten Klingeln hob er ab.
    »Daniel, wenn jemand dich fragt, dann sag doch, dass ich nach Italien fahre, um den Sommer mit Steph und Kim zu verbringen, ja?«
    Als Daniel lachte, lächelte sie in sich hinein. Vielleicht stimmte es ja tatsächlich. Wenn Kim nichts dagegen hatte, würde sie Steph vielleicht wirklich nach Rom folgen. Für alle Fälle sollte sie ihren Pass mitnehmen.
    Sie schloss den Koffer und stellte ihn neben die Wohnungstür. Den Inhalt des Kühlschranks verstaute sie in einen Karton und eine Kühltasche, die auf ihrem Schreibtisch verstreuten Papiere steckte sie zusammen mit dem Laptop in eine Aktentasche; ihre zwei vernachlässigten Topfpflanzen stellte sie in einen weiteren Karton, in dem bereits ihre Malsachen und Skizzenbücher lagen, die sie aus Zeitmangel schon viel zu lange vernachlässigt hatte.
    Vorsichtig öffnete sie die Wohnungstür und schaute ins Treppenhaus. Die Schlüssel hatte sie bereits bei Mrs Lal hinterlegt, die versprochen hatte, die Wohnung im Auge zu
behalten, bis die Mieterin einzog. Ihr Auto stand zwei Straßen weiter. Jess griff sich die Schlüssel von der Arbeitsfläche und lief die Treppe hinunter nach draußen. Es war relativ früh am Abend, die Straßen waren noch in Sonnenlicht getaucht, Menschen machten sich von der Arbeit auf den Heimweg. Über das Rauschen des Verkehrs hörte Jess Musik, sie roch die rauchige Würze von garendem Fleisch aus dem Tandoori-Lokal in der Nähe der U-Bahn-Station.
    Jemand, vermutlich Mrs Lal, hatte am Schloss die Sperre deaktiviert. Jess zögerte, schaute die Straße auf und ab und zog die Tür dann einfach zu, um die alte Dame nicht auszuschließen. Dann machte sie sich auf die Suche nach ihrem Auto, das am Park stand. Wie üblich war es völlig eingeparkt, das Dach mit Vogelkot verdreckt aus der Platane, unter der es stand. Nach einem umständlichen Manöver hatte sie den Wagen schließlich aus der Lücke bugsiert und fuhr zu ihrer Wohnung zurück, wo sie in zweiter Reihe parkte. Die Haustür war noch offen.
    Stirnrunzelnd sah sie wieder die Straße hinauf. Sie konnte weder Mrs Lal noch sonst jemanden aus dem Haus entdecken. An der Ecke lungerten ein paar Jungen herum, drei Handwerker verstauten Leitern und Farbeimer in einen Transporter, beobachtet von zwei kichernden afrikanischen Mädchen in bunten Kleidern, hinter ihnen gingen zwei Frauen mit schwarzen Kopftüchern vorbei. Niemand trieb sich vor der Haustür herum, niemand, der das Haus betreten haben würde. Jess stieß die Tür auf und sah sich im Flur um. Nichts. Sie lief zu ihrer Wohnung hinauf, zwei Stufen auf einmal nehmend, und blieb auf dem Treppenabsatz im ersten Stock stehen, wo es eher düster war. Die Birne war wieder einmal durchgebrannt.
    »Hallo?«, rief sie ängstlich. »Ist da jemand?«
    Es kam keine Antwort.

    Mit zitternden Händen holte sie den Schlüssel aus der Tasche, doch noch bevor sie ihn ins Schloss stecken konnte, schwang die Tür auf. Erschreckt schaute sie in die Wohnung. Ihr Gepäck und die Kartons standen noch genau dort, wo sie sie hingestellt hatte. In der Wohnung war es still, aber etwas hatte sich verändert. Jemand war da gewesen. Das spürte sie. Sie konnte es riechen. Sie schnupperte. Ein Aftershave. Und Schweiß.
    »William?« Es war nicht der Duft, den er benutzte, aber er war der Einzige, der einen Schlüssel zu ihrer Wohnung hatte. Es sei denn, sie hatte die Tür nicht zugezogen. Aber das hatte sie. Ganz bestimmt. Oder doch nicht? »William, bist du da?«, fragte sie nervös und wappnete sich, die Flucht zu ergreifen.
    Sie bekam keine Antwort.
    Sie äugte ins Wohnzimmer. Auf dem Sofatisch lag ein großer Blumenstrauß.
    Ihr Herz schien auszusetzen. Reglos starrte sie auf den Strauß.
    »William?« Ihre Stimme zitterte.
    Es war nichts zu hören. Trotz ihrer Angst spürte sie, dass die Wohnung leer war.
    »William?« Auf Zehenspitzen schlich sie zur Schlafzimmertür. Auch da war niemand. Das ordentlich gemachte Bett, die sauberen Oberflächen, die halb geschlossenen Vorhänge - alles war genau so, wie sie es zurückgelassen hatte. Sie machte kehrt und warf einen Blick in die Küche und ins Bad. Nirgends war jemand, niemand schien die Räume betreten zu haben. Soweit sie es sehen konnte, hatte niemand die Kartons berührt. Wer immer in den wenigen
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