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Die Tochter des Königs

Titel: Die Tochter des Königs
Autoren: Barbara Erskine
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zittern, während sie im Kopf zum x-ten Mal ihre Erinnerungen an den Abend durchging. Hatte sie Ash zu sich eingeladen? Immerhin hatte sie ein paarmal mit ihm getanzt. Sie hatte einen Drink angenommen, und dann noch einen. Wer hatte sie ihr gegeben? Das wusste sie nicht mehr. Sie hatte eindeutig zu viel getrunken, aber waren die Drinks zusätzlich mit etwas versetzt gewesen? Hatte sie, in welchem Zustand auch immer, in den Sex eingewilligt? Hatte es ihr gar Spaß gemacht? Ihre Hände wurden klamm, Übelkeit stieg wieder in ihr hoch, das Zimmer begann sich zu drehen.

    Dann hörte sie Schritte auf der Treppe, die zu ihrer Wohnung führte. Sie schoss vom Sofa hoch, rannte zur Wohnungstür, schob den Riegel vor und hängte, vor Angst zitternd, die Sicherheitskette ein. Es war eine Angst, wie sie sie noch nie im Leben empfunden hatte. Sie ließ sich zu Boden gleiten, Tränen liefen ihr über die Wangen, sie lehnte sich mit dem Rücken an die Wand und hüllte sich fest in ihren weißen Frotteebademantel. Draußen gingen die Schritte an ihrer Tür vorbei, ohne langsamer zu werden, und verhallten wenig später in den oberen Stockwerken.
    Schließlich schlief sie ein, dort am Boden kauernd, den Rücken an die Wand gelehnt.
    Ein Klopfen riss sie aus dem Schlaf. Der Türknauf drehte sich. Mit angehaltenem Atem starrte Jess ihn an, ihr Magen hob sich.
    »Jess, bist du da?« Es war Williams Stimme. »Jess, ist alles in Ordnung? Ich möchte mich entschuldigen wegen gestern Abend. Ich habe mich idiotisch verhalten. Es tut mir leid.« Es folgte eine lange Pause, dann seufzte er laut. »Jess? Bist du da? Was ist denn los?« Eine weitere Pause, dann ein kleines ärgerliches Seufzen. »Jess, wir sehen uns dann am Montag beim Aufräumen, ja?« Sie hörte, wie er sich von der Tür wegdrehte, die Treppe hinunterging und die Haustür zuschlug. Dann wieder Stille.
    Er hatte sich idiotisch verhalten.
    Inwiefern idiotisch?
    Es konnte unmöglich William gewesen sein. Sie hatten sich auch früher schon gestritten, bereits vor ihrer Trennung. Heftig sogar. Aber er würde sich ihr nie gegen ihren Willen aufzwingen. Oder doch?
    War er ihr und Ash vielleicht nach Hause gefolgt? Wenn ja, dann hatte er sich womöglich Zugang zu ihrer Wohnung verschafft. Jess war überzeugt, dass er noch einen Schlüssel
hatte, obwohl er beteuerte, er habe ihn zurückgegeben. Sie hatten am vergangenen Abend zu guter Letzt doch miteinander getanzt. Mehr als einmal. Das wusste sie noch. Einen Moment hatte das vertraute Gefühl seiner Arme um sich sie dazu verleitet, sich seiner Umarmung hinzugeben. Es war William gewesen, der nach einer Weile seinen Griff löste, ein paar Schritte zurücktrat und sich allein zum Rhythmus der Musik weiterbewegte.
    Mit einem erschöpften Seufzen schloss sie die Augen.
    Einige Zeit später hörte sie, wie Mrs Lal ihre Wohnung im Erdgeschoss verließ und mit laut schlappenden Slippern die Stufen zur Haustür hinunterging. Ihrem Elend zum Trotz lächelte Jess liebevoll. Manchmal rief die alte Dame kurz zu ihr hoch und fragte, ob sie ihr die Sonntagszeitung oder etwas Milch mitbringen solle, aber nicht heute. Vielleicht hatte sie gehört, wie William vergeblich an ihrer Tür klopfte, und den Schluss gezogen, Jess sei nicht zu Hause.
    Mit steifen Beinen stand sie auf und schaute nach draußen. Mrs Lal ging langsam die Straße hinunter, sie hatte eine blaue Strickjacke über ihren Sari gezogen und die grauen Haare zu einem wirren Dutt gesteckt. Dann zögerte die alte Dame, ihre Schritte wurden langsamer, bis sie rasch die Straße überquerte. Jess fragte sich, was ihre Nachbarin wohl so ängstlich machte, dann sah sie sie: zwei schwarze Jugendliche, die sich vor dem vergitterten Eingang zum kleinen Park herumtrieben. Einen Moment beobachtete sie sie, und der Mund wurde ihr trocken. Einer der beiden war Ash, der andere sein älterer Bruder Zac. Sie starrten die arme Mrs Lal unverhohlen an und weideten sich an deren Unbehagen. Jess sah, dass Zac etwas rief, woraufhin Mrs Lal auf den Laden zuhastete. Vielleicht sollte sie, Jess, hinuntergehen und die beiden vertreiben? Was hatten sie überhaupt hier verloren? Die Jungen lebten in der Sozialsiedlung
Constable Estate, die in entgegengesetzter Richtung lag, auf der anderen Seite der Schule. Und dann, als merkte Ash, dass Jess ihn beobachtete, trat er auf die Straße, wo sie ihn besser sehen konnte und von wo er vielleicht sogar sie ausmachen konnte, und verneigte sich theatralisch vor ihr. Zac
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