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Die Tochter des Königs

Titel: Die Tochter des Königs
Autoren: Barbara Erskine
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der Polizei, fand die Party schließlich ein Ende.
    Ashley hatte vor der Turnhalle auf sie gewartet.
    Danach konnte sie sich an nichts erinnern. Mit zitternden Händen machte sich Jess einen Kaffee und trank ihn langsam. Wen konnte sie eingeladen haben, zu nachtschlafender Zeit noch ein Glas Wein mit ihr zu trinken? Nach William hatte sie keine Beziehung mehr gehabt. Niemand gefiel ihr genug, zumal keiner ihrer Kollegen. Nicht jetzt. Und es war nicht ihre Art, einen Mann, den sie gerade erst kennengelernt hatte, mit nach Hause zu nehmen und mit ihm ins Bett zu gehen. Und niemand, absolut niemand aus ihrem Bekanntenkreis hätte sie derart zugerichtet und dann in dem Zustand zurückgelassen.
    Sie zermarterte sich das Gehirn, während sie den Kaffee in kleinen Schlückchen trank, dann erinnerte sie sich, wie Ash von der Motorhaube eines Wagens aufs Dach gesprungen war, die Fäuste zum Himmel erhoben und den Sternen rezitiert hatte. Shakespeare. Er rezitierte Shakespeare, dieser Junge, den sie in der Schule mit so viel Einsatz unterstützt hatte, der Junge, der eine Gruppe Straßenschauspieler leitete und davon träumte, auf die angesehene Londoner Schauspielschule RADA zu gehen und ein Schauspieler im West End zu werden, seine Herkunft hinter sich zu lassen, die Kindheit ohne Vater, seine drogensüchtigen Brüder, und die stille Zuversicht seiner Mutter zu erfüllen, die an ihn glaubte. Er hatte der ganzen Welt Shakespeare rezitiert, dann war er lachend heruntergesprungen und hatte eine
höfische Verbeugung vollführt. »Komm, ich bring dich nach Hause, Jess!« Jetzt hörte sie seine Stimme in ihren Ohren widerhallen.
    Und dann nichts.
    Von dem Moment an hatte sie keine Erinnerungen mehr. Zu Fuß war es eine halbe Stunde von der Schule zu ihrer Wohnung, aber sie konnte sich nicht entsinnen, die Hauptverkehrsstraße überquert zu haben, die auch weit nach Mitternacht noch stark befahren war, und sie hatte auch keine Erinnerung an die High Street, auf der reger Betrieb herrschte, weil in der Julihitze die Hälfte der Läden noch geöffnet hatte. Auch wusste sie nicht, ob sie zu dem kleinen Platz abgebogen war, in dessen Mitte hinter dem spitzen Geländer, über das immer Abfall geworfen wurde, verstaubte Büsche und Bäume wuchsen. Und sie konnte sich nicht erinnern, dass sie die Haustür aufgeschlossen hatte, die Treppen hinaufgegangen war und die Tür zu ihrer Wohnung geöffnet hatte, sie betreten und vermutlich ihrem Begleiter etwas zu trinken angeboten hatte.
    Nein, nicht Ashley. Bitte, es darf nicht Ashley gewesen sein.
    Es musste Ashley gewesen sein. Andere hatten sie gewarnt. Hatten gesagt, er könne gewalttätig werden. Hatten gesagt, er sei zu vertraulich mit ihr geworden. Aber Jess hatte die Warnungen in den Wind geschlagen. Sie wusste es besser, sie hatte sein Talent gesehen, und sie würde sich von nichts und niemandem in ihren Hoffnungen für ihn beirren lassen.
    Wenn es Ashley gewesen war, war es dann ihre Schuld? Hatte sie ihn aufgefordert, mit ihr zu schlafen? »Nein!« Das Wort brach als gequältes Flüstern aus ihr hervor. »Nein, das hätte ich nie gemacht. Nie im Leben.« Vorsichtig fuhr sie über die blauen Flecken auf ihren Armen. Wer immer
die Prellungen verursacht hatte, hatte sich Jess aufgezwungen und sie festgehalten. Das hatte nichts mit Zuneigung zu tun, das war Vergewaltigung.
    Sie duschte sich ausgiebig, auch wenn ihr bewusst war, dass sie das nicht tun sollte. Wenn sie wirklich vergewaltigt worden war, sollte sie zur Polizei gehen, sollte alle Beweismittel, die möglicherweise noch in ihrem Körper waren, konservieren, doch während sie sich wild mit der Körperbürste abschrubbte, wusste sie auch, dass sie sich nie dazu durchringen würde, die Demütigung einer polizeilichen Befragung über sich ergehen zu lassen. Eine ihrer Schülerinnen hatte es einmal durchmachen müssen, und Jess hatte das Mädchen in den abweisenden, unpersönlichen Raum begleitet, wo es befragt und untersucht worden war, bis man seine Behauptungen schließlich als Lüge dargestellt hatte. Bei der Erinnerung schauderte Jess. Dem würde sie sich nie freiwillig aussetzen. Niemals. Mittlerweile kochte sie vor Wut. Egal, wie viel Alkohol jemand ihr zu trinken gegeben hatte, und selbst wenn derjenige sie mit Drogen gefügig gemacht hatte: Sie würde herausfinden, wer ihr das angetan hatte, und sie würde ihn dafür büßen lassen.
    Als sie dann, in ihren Bademantel gehüllt, auf der Sofakante kauerte, begann sie wieder zu
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