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Die Suche nach dem Regenbogen

Titel: Die Suche nach dem Regenbogen
Autoren: Judith Merkle-Riley
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dich, ehe du dem Falschen um den Hals fällst. Und gleichzeitig kam mir ein kleiner schlimmer Gedanke. Ich meine, wer erfährt schon, was andere wirklich von einem halten, wenn man gestorben ist, und ich sah mit großer Genugtuung, daß Master Ashford mich sehr gern hatte. Es war wirklich der letzte Beweis, daß er kein Betrüger war wie andere Männer, und daher wollte ich noch ein wenig abwarten und sehen, was er sonst noch tun würde, ehe ich ihm in die Arme fiel und alles ein glückliches Ende nahm.
    »Zu spät! Tot! Einfach tot! Ach, es ist ungeheuerlich!« rief er. »Grausamer Gott, raffe auch mich hinfort!« Jäh stand er auf und näherte sich dem Hochaltar, wo die Äbtissin, anscheinend ins Gebet versunken, noch immer frommen Gedanken nachhing. »Ich muß sie berühren«, schluchzte er. »Ich war nicht da, um ihr im Tode Trost zu spenden, so will ich jetzt ihre eisige Hand halten und ihr ewige Treue schwören!«
    Wer hätte gedacht, daß Robert Ashford eine so dramatische und poetische Ader hatte, schließlich war er Privatsekretär und dachte meistens recht vernünftig.
    »Haltet ein, haltet ein! Es ist der sichere Tod!« rief die Äbtissin, die fürchtete, unser Betrug könnte entdeckt werden.
    »Das versteht Ihr nicht, heilige Mutter? Ich habe zu lange gewartet, und nun kann ich ihr nicht mehr sagen, daß ich sie liebe. Oh, diese Kälte! Oh, diese Bitternis! Nicht einmal geküßt haben wir uns. Und ich schwöre Euch, ich küsse sie jetzt zum ersten und zum letzten Mal und sterbe an dem Kuß«, rief Master Ashford völlig außer sich und drängte sich an der entsetzten Äbtissin vorbei.
    Ich schlich mich auf Zehenspitzen näher, weil ich alles mitbekommen wollte, denn die Szene war so ergreifend, schön und poetisch und übertraf meine kühnsten Erwartungen. Mir war ganz warm ums Herz, so sehr liebte ich ihn. Ach, was für eine wunderbare, hingebungsvolle Leidenschaft! Schon liefen mir die Tränen, denn es war tragisch anzusehen, als er sich über mein hübsches Kunstwerk warf.
    Langsam näherten sich seine Lippen meinen bläulichen. Er hatte die Augen geschlossen. Er drückte seine warmen auf die kalten… »Was zum…!« rief er, schlug jäh die Augen auf und fuhr mit dem Kopf zurück, als hätte er eine Schlange geküßt. »Was soll das?« sagte er, stocherte mit dem Finger in meinem Strohleib herum und starrte den Wachskopf an.
    »Robert, Robert, die Äbtissin trifft keine Schuld. Es war meine Idee«, platzte ich laut heraus, denn ich mußte hinter ihm noch das halbe Kirchenschiff durchqueren. Beim Klang meiner Stimme fuhr er herum. Sein Gesicht war tränenüberströmt, doch nun war es auch noch rot.
    »Daß ich darauf nicht gekommen bin«, sagte er.
    »Robert, es war ein Betrug. Ich mußte die Soldaten hintergehen, sonst wären wir sie nicht losgeworden. Euch wollte ich natürlich nicht täuschen…«
    »Aber Ihr konntet der Versuchung nicht widerstehen?«
    Ich trat aus dem Schatten in einen Sonnenstrahl, der farbig durch ein Buntglasfenster fiel. Robert sah sehr gut, aber schrecklich verstört aus, und eigentlich hätte ich mich schämen sollen, weil ich mich nicht gleich offenbart hatte, aber ich war sehr froh, denn nun wußte ich, er liebte mich so innig, daß er mir in den Tod folgen wollte, was zwar theatralisch, aber dennoch ein gutes Zeichen ist.
    »Ach, Robert, wer würde wohl einen Mann nicht lieben, der einem ins Grab folgen will?«
    »Wenigstens weißt du jetzt, daß ich es ehrlich meine«, sagte er, und es klang noch immer beschämt und erzürnt. »Aber… aber weniger blau bist du mir wesentlich lieber.«
    »Ein gelungenes Werk, nicht wahr?«
    »Und ob. Wann hörst du endlich auf, die Menschen zu narren?«
    »Ich kann nicht anders, Robert. Es überkommt mich einfach. Es ist meine zweite Natur. Du weißt, so bin ich nun einmal. Ich meine, ich war in so großer Bedrängnis. Der Connétable de Bourbon. Das ist kein geringer Feind.«
    »Ich weiß«, sagte er, und seine Miene wurde sanft.
    »Aber du weißt, daß mein Herz ehrlich ist«, sagte ich und hoffte, daß er mir diese kleine Sünde vergeben und bedenken würde, wie schlimm man mich schon hereingelegt hatte und wie natürlich so ein Betrug war, wenn jemand ganz, ganz sichergehen wollte, daß er geliebt wurde.
    »Das weiß ich doch«, sagte er. Er sah erst mich an, dann meinen hervorragend gelungenen Leichnam und dann wieder mich. Dann seufzte er, dann lächelte er, dann lachte er. Er lachte, bis er sich den Bauch halten mußte und ihm
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