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Ballade der Leidenschaft

Ballade der Leidenschaft

Titel: Ballade der Leidenschaft
Autoren: Carol Townend
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1. KAPITEL
    Quimperlé, Bretagne
     
    O bwohl die Hexennacht bald beginnen würde, erschrak Rozenn nicht, als der Türriegel ratterte.
    Noch war die Sonne nicht vollends untergegangen, und Rozenn erwartete ihre junge Freundin Mikaela. Außerdem gehörte Hauteville – der Teil von Quimperlé, in dem sie wohnte – wohl kaum zu den Elendsvierteln. Am Rand eines hohen Felsens gelegen, oberhalb der Hauptstadt und der Burg, war Hauteville noch nicht von den gesetzlosen Umtrieben erreicht worden, die auf Herzog Conans Vergiftung im Dezember 1066 folgten.
    Aber auch jetzt, im Jahr 1067, wurden die Zeiten immer unsicherer, und für den Fall, dass doch jemand anders als Mikaela vor der Tür stand, steckte Rozenn die Silbermünzen, die sie gezählt hatte, in den Beutel zurück und breitete eine Näharbeit darüber. Allmählich vermehrten sich ihre Ersparnisse.
    Dies war vielleicht der richtige Zeitpunkt, um Mikaela zu erklären, dass sie die Bretagne verließ. Wahrscheinlich für immer.
    Langsam öffnete Rozenn die Tür und trat hinaus. Wie erwartet, stand ihre Freundin vor dem Haus. Im schwindenden Tageslicht befestigte sie eine Girlande am Türrahmen. Kreischende Mauersegler zogen ihre Bahnen am abendlichen Himmel, Mehlschwalben flatterten zu ihren Nestern unterhalb des Dachvorsprungs und wieder davon.
    „Offenbar kommst du geradewegs aus der Taverne“, bemerkte Rozenn.
    „Mhm.“ Geschickt rückte Mikaela die Girlande zurecht. „Wie hast du das herausgefunden?“
    „Kein Schleier.“
    Zusammen mit ihrem Vater betrieb Mikaela die Taverne ‚Weißer Vogel‘. Beim Kochen und Saubermachen war ein Schleier hinderlich, deshalb verzichtete sie darauf. Meistens vergaß sie nach der Arbeit, ihn wieder anzulegen, ehe sie durch die Stadt ging.
    Rozenn musterte die Johannistagsgirlande. Über glänzenden Lorbeerblättern leuchtete das gelbe Kraut des Heiligen Johannes. Efeuranken hingen zwischen gelben Wucherblumen. In der milden Brise, die durch eine schmale Gasse vom Hafen am Fluss heraufwehte, nickten Gemeine Schafgarben und andere, bereits leicht verwelkte Blumen.
    „Hübsch“, meine sie lächelnd. Mit denselben rostigen Nägeln hatte Mikaela auch im vorigen und im vorletzten Jahr ihre Girlanden aufgehangen. Niemals würde sie ihre Gewohnheiten ändern. Und sie war sehr abergläubisch.
    Nun schob sie ihren Zopf über eine Schulter und warf ihr einen bedeutungsvollen Blick zu. „Hübsch? Darauf kommt es nicht an, Rose. Diese Pflanzen sollen dich beschützen.“
    „Vor den Hexen.“ Mit einiger Mühe bezähmte Rozenn ihren Lachreiz.
    „Ganz genau. Verdreh bloß nicht deine Augen. Das da …“, Mikaela berührte das Johanniskraut und befleckte ihre Finger mit dichtem Blütenstaub, „… wird für deine Sicherheit sorgen, bis morgen das Fest des Heiligen Johannes des Täufers beginnt. Und das …“, jetzt zeigte sie auf einen Lorbeerzweig, „… wehrt die Hexen und bösen Geister ab.“
    „Oh Mikaela …“ Ungeduldig schüttelte Rozenn den Kopf. „Du verschwendest nur deine Zeit. An diese alten Geschichten glaube ich nicht.“
    Ein letztes Mal zupfte Mikaela an der Girlande, dann trat sie zurück und bewunderte ihr Werk. „Darin liegt vielleicht genau dein Problem.“
    „Was heißt das?“
    Mikaela zuckte mit den Schultern. „Leider bist du viel zu ernsthaft. Heute Nacht solltest du die Saint-Columban-Kirche aufsuchen und herausfinden, wer deine wahre Liebe ist.“
    „Nein.“ Rozenn kniff die Lippen zusammen. „So ein Unsinn! Reiner Mittsommernachtswahnwitz.“
    „Bitte, Rose. Auch Nicole und Anna werden hingehen. Schließ dich uns an, ein bisschen Vergnügen würde dir sicher guttun. Deine Trauerzeit ist vorbei. Und du hast keinen Grund, dich schuldig zu fühlen.“
    „Ich fühle mich nicht schuldig“, widersprach Rozenn. „Aber ich habe keine Lust, meine Zeit zu verschwenden und auf meinen Schlaf zu verzichten. Zur mitternächtlichen Stunde siebenmal um eine Kirche herumzulaufen – heiliger Himmel, wie albern! Als könnte man dabei seine wahre Liebe erkennen! So was Verrücktes!“
    „Du musst ja nicht daran glauben, es ist einfach nur amüsant.“ Mikaela ergriff ihre Hand und drückte sie sanft. „Sicher würde es Per nicht stören. Er schaut vom Himmel auf dich herunter, will dich glücklich sehen und wünscht, du würdest jemand anderen finden. Und wenn der Zauber wirkt“, fügte sie lächelnd hinzu, „wirst du erfahren, wer deine wahre Liebe ist.“
    „Aber das weiß ich schon“, erwiderte
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