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Die Suche nach dem Regenbogen

Titel: Die Suche nach dem Regenbogen
Autoren: Judith Merkle-Riley
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einige Soldaten bekreuzigten sich. Doch der Hauptmann ließ nicht locker. »Wo ist Suzanne Dolet?«
    »Ach, Monsieur le Capitaine, sie gehört zu denen, die die Sterbesakramente empfangen haben. Sie liegt in unserem armseligen kleinen Spital und wartet auf die unausweichliche Begegnung mit der Ewigkeit.«
    »Ich kann mich nicht auf Euer Wort allein verlassen. Woher soll ich wissen, ob Ihr mich nicht hintergeht?«
    »Zweifellos wird sie morgen tot sein. Stört die Sterbenden nicht, Monsieur. Selbst Eure Befehle erfordern nicht, daß Ihr Euch einer Ansteckung aussetzt. Morgen früh wird man die Dahingeschiedenen zum Begräbnisgottesdienst vor dem Hochaltar aufbahren. Dann mögt Ihr kommen und sie um Eurer selbst und Eures Herrn willen sehen, und Ihr könnt gehen, bevor Ihr Euer Leben gefährdet. Das ist der Vorschlag unserer Äbtissin. Sie sagt auch, daß sie bedauert, Euch nicht die Gastfreundschaft unseres Gästehauses anbieten zu können, doch unter den gegebenen Umständen zieht Ihr es gewiß vor, Eure Männer im Dorf unterhalb des Klosters einzuquartieren.«
    Ashford verbarg sein Gesicht vor den anderen, als diese sich vom Tor abwandten. Sie lag im Sterben! Nach allem, was gewesen war. Die vielen Pläne, die er geschmiedet hatte, was er sich nicht alles hatte einfallen lassen! Und er war nicht bei ihr, konnte ihr keinen Trost spenden, nicht auf ihren letzten Atemzug lauschen, sich nicht anstecken und mit ihr zusammen sterben. Oh, wie bitter, wie böse war doch die Welt. Gott selbst war böse, weil er die Menschen verhöhnte, ihnen die Liebe zeigte und sie ihnen sogleich wieder entriß. Wozu war das alles nutze? Die Pest. Diese schreckliche, gräßliche Krankheit. Und er konnte nicht einmal ihren Leichnam berühren. Ihm fiel ein, wie sie auf dem Vogelmarkt die kleinen Vögel angesehen, wie sie den Leimtopf von seinem Ehrenplatz an ihrem Kamin weggerückt hatte, um Essen für ihn zu kochen, wie sich ihre kleine Hand mit den kurzen Fingern so zierlich und fachmännisch über einem ihrer winzigen Gemälde bewegt hatte. Dann mußte er unwillkürlich an ihre wollüstigen, vulgären Evas denken. Auf der ganzen Welt gibt es keine Frau wie sie, dachte er. Ich habe sie durch ein Wunder gefunden, und jetzt habe ich sie verloren.

    Ich war mitten in der Arbeit an der Madonna unter der undichten Stelle, als ich aufgeregtes Sandalengeklapper hörte und die Äbtissin, gefolgt von mehreren Nonnen, hereineilte.
    »Maîtresse Suzanne, vor dem Tor sind bewaffnete Männer, Soldaten, die Euch holen wollen. Sie sagen, sie gehen nicht ohne Euch. Unsere Tore halten ihnen nicht stand. Wenn ich Euch hier verstecke, drohen sie, das Kloster zu stürmen. Mir bleibt keine Wahl, ich muß Euch ausliefern.«
    »Mich ausliefern? Wer sind diese Männer, daß sie selbst der Schwester des Königs zu trotzen wagen?«
    »Soldaten des Connétable de Bourbon, des größten Kriegsherrn von ganz Frankreich. Sie behaupten, sie hätten den Befehl, Euch festzunehmen. Ich möchte sie nicht einlassen, und ich möchte der teuren Herzogin in allen Dingen gehorchen, aber ich wage es nicht, die Männer noch länger hinzuhalten.«
    »Mich festnehmen? Aber ich habe nichts verbrochen.«
    »Das wißt Ihr, und ich weiß es auch, aber jetzt müssen die Richter entscheiden.«
    »Aber… aber, sagt ihnen, sie sollen noch warten.«
    »Das habe ich bereits getan. Sie sagen, sie warten bis zum Sankt-Nimmerleins-Tag, und aus dem Kloster kommt keine Maus mehr heraus. Ich fürchte, sie schänden noch das Asyl. Gott weiß, was geschieht, wenn sie erst einmal hier drinnen sind. Ihr müßt Euch stellen. Ich würde Euch ja behalten, wenn das ginge, aber sie wissen, daß Ihr hier seid, ich habe keine andere Wahl.«
    Nichts beflügelt das Hirn mehr als die nackte Todesangst. Meins arbeitete rasend schnell und überlegte verzweifelt, wie ich den bösen Soldaten da draußen entkommen konnte. »Wartet, sagt ihnen, daß ich sterbenskrank bin.«
    »Was sollte das nützen?«
    »Sagt ihnen, ich habe die Pest und bin ansteckend.«
    »Das werden sie kaum glauben, es sei denn, ich habe einen Leichnam vorzuweisen.«
    Und da schoß mir ein Gedanke durch den Kopf, ich mußte lächeln, und die Äbtissin blickte mich sehr neugierig an. »Oh, Ihr könnt durchaus einen Leichnam vorweisen«, sagte ich. »Gott hat mir genau in diesem Augenblick eine ausgezeichnete Idee eingegeben. Eine Erleuchtung. Ihr könnt den Hauptmann zufriedenstellen, Ihr könnt die Herzogin von Alençon zufriedenstellen, und Ihr
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