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Die Suche nach dem Regenbogen

Titel: Die Suche nach dem Regenbogen
Autoren: Judith Merkle-Riley
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enthalten.«
    Die Äbtissin blickte ganz eigenartig. »Im Regenbogen sind auch sämtliche Farben enthalten«, sagte sie.
    »Stimmt. Man könnte durchaus sagen, in jedem menschlichen Gesicht ist ein Regenbogen enthalten. Nur sind die Töne von Mensch zu Mensch verschieden«, gab ich zurück und malte ein Blutrinnsal auf meine Wachshände. »Aber so leuchtend wie ein Regenbogen sind sie natürlich nicht«, setzte ich nachdenklich hinzu.
    »Maîtresse Suzanne, jetzt weiß ich, was der Engel gemeint hat«, sagte die Äbtissin plötzlich. Ich blickte von meiner Arbeit auf und sah sie an. Wirklich ein passender Zeitpunkt, sich mit Träumen zu beschäftigen! Soldaten standen im Begriff, das Tor zu stürmen, und wir riskierten alles mit einem sehr gefährlichen Betrug, der dazu führen konnte, daß das ganze Kloster in Brand gesteckt wurde und einige von uns sterben mußten, wenn sie uns auf die Schliche kamen. Aber Leute von geistlichem Stand sind nun einmal wunderlich. »Der Engel hat Euch genau das befohlen, was Ihr jetzt tut. Malen. Die Menschheit malen.«
    Ich stand einfach da und blickte sie an. Da bemalte ich meinen eigenen Leichnam, um Mörder hinters Licht zu führen, und meine Aufträge für die Herzogin waren erst halb fertig, und Master Ashford war vermutlich umgebracht worden, und für mich gab es auch nicht die geringste Möglichkeit, wieder nach Haus zu kommen. Falls man das als Segen bezeichnen kann, dann möchte ich wirklich nicht wissen, was ein Fluch ist. »Vielleicht habt Ihr recht«, sagte ich aus Höflichkeit. »Seht es Euch an, ich glaube, wir können sie hereinlassen.«
    Die Äbtissin wies ihre Nonnen an, den Leichnam auf die Totenbahre vor dem Hochaltar zu legen, und ich war sehr zufrieden mit meinem Werk, weil es mir ähnlich sah und ausnehmend grausig wirkte, und keiner, dem sein Leben lieb war, würde es wagen, mir irgendwie nahe zu kommen. Dann öffnete die Äbtissin die Tore und begleitete den Hauptmann und seine Soldaten höchstpersönlich hinein und wies ihn an, in der Kirche den Helm abzunehmen. Ich versteckte mich auf der Empore, da ein Künstler immer gern mitbekommt, welchen Eindruck sein Werk macht, und ich war wirklich sehr stolz auf das, was ich in nur einer Nacht und an einem Morgen geschaffen hatte.
    »Wir fürchten uns natürlich nicht vor dem Tod, da er für uns nur der Übergang in eine andere, bessere Welt ist, aber ich kann verstehen, wenn Ihr nicht näher treten mögt«, sagte sie in pietätvollem Flüsterton.
    Der Wachtposten sah aus, als würde er am liebsten die Flucht ergreifen. »Die Pest, sagt Ihr?«
    »Gestern morgen hat sie hier in dieser Kirche den Pinsel aus der Hand gelegt. Seht Ihr die kleine Madonna da? Die restauriert nun auch keiner mehr. Und das Antlitz erst halb vollendet. Was für ein Jammer. Sie hat aufgeschrien: ›O mein Gott, tut das weh‹, und da haben wir gemerkt, daß sie vor Fieber glühte. Die Pest – ja, ja, schnell tritt der Tod den Menschen an.«
    Die Soldaten verzogen sich durch das Portal, und die Äbtissin, immer hinter ihnen her, erzählte ihnen, daß ihnen gewiß eine Million Jahre im Fegefeuer erlassen würden, wenn sie sich die Krankheit an so geweihter Stätte zuzögen, daher könnten sie sich glücklich preisen.
    Man ließ meinen Leichnam noch liegen, falls sie wiederkommen sollten, und nach dem Morgenmahl ging ich zurück, um ihn noch einmal zu bewundern, und da stieß ich auf die Äbtissin, die sich beim Auf- und Abschreiten das Kinn rieb, nachdachte und Selbstgespräche führte.
    »Ein Jammer«, sagte sie gerade. »Ein unverweslicher Körper und so hübsch gefertigt. Eine Märtyrerin für die Keuschheit, von Gott zu sich geholt, damit ihr der Verführer nicht ihre himmlische Krone rauben konnte. Was für eine Verschwendung. Also, ein Schrein, an einem kühlen Ort, in der Krypta beispielsweise, unter dem Fußboden, mit einem Gitter, wo nichts schmelzen kann…«
    Ich zögerte jedoch, sie anzusprechen und sie in ihren frommen Gedanken zu stören, also hielt ich mich im Dämmer der Seitenkapelle. Und da erblickte ich die dunkle, eingemummte Gestalt eines Mannes, der betend unter der armen, kleinen, halb restaurierten Madonna kniete, um die ich meine Pinsel und Farben kunstgerecht verstreut hatte, damit es einen echteren Eindruck machte. War das etwa Master Ashford? Ich hörte den Mann stöhnen, dann fing er an zu weinen, und da wußte ich, er war es. Mein Herz sagte, lauf zu ihm, doch dann dachte ich, sei lieber vorsichtig und überzeuge
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