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Josepsson, Aevar Örn

Josepsson, Aevar Örn

Titel: Josepsson, Aevar Örn
Autoren: Wer ohne Sünde ist
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Samstag
    Die letzten Tage im Leben von Ólafur Áki Bárðarson waren zwar in gewissem Sinne ungewöhnlich, doch im Prinzip unterschieden sie sich nicht im Geringsten von den zweitausend Tagen, die ihnen vorangegangen waren.
    Am Karfreitagabend setzte er sich in seinen amerikanischen Lazy-Boy-Sessel, trank einige nicht übermäßig starke Gin Tonics, rauchte und hatte den Alpha-Sender eingeschaltet. Gegen halb drei leerte er sein sechstes Glas, schaltete den Fernseher aus und erhob sich mühsam aus dem tiefen Sessel. Er wankte durch die Wohnung, löschte überall das Licht und ging zu Bett. Wachte sechs Stunden später auf, übel gelaunt und unausgeschlafen, und wie gewöhnlich mit steifem Hals und schmerzhaftem Harndrang. Letzterer zwang ihn aus dem Bett und ins Bad, eine Räumlichkeit, die mit Reinlichkeit nur wenig gemein hatte. Nachdem er die Blase unter krampfartigen Anstrengungen entleert hatte, ohne allzu viel daneben zu pinkeln, legte er sich wie immer noch einmal ins Bett. Dort wälzte er sich wie gewohnt eine Viertelstunde von einer Seite auf die andere, doch dann kapitulierte er und stand auf, um die Kaffeemaschine anzuwerfen. Vier Tassen Wasser, vier Löffel Kaffee.
    Sieben Minuten später beendete die Maschine ihre glucksenden und röchelnden Geräusche, und etwa zur gleichen Zeit hatte Ólafur auch seinen Morgenhusten hinter sich gebracht. Er holte Milch aus dem Kühlschrank und nahm Zucker vom Küchentisch. Nach der ersten Tasse Kaffee und der ersten Zigarette bestrich er zwei Scheiben Roggenbrot mit Butter, belegte sie mit Käse und verdrückte sie zur nächsten Tasse. Zur dritten und vierten schluckte er zwei Schmerztabletten, rauchte drei weitere Camel und blätterte in den Tageszeitungen, in denen nichts stand, was seine Aufmerksamkeit auf sich zog, abgesehen von einer Nachricht aus dem Heiligen Land. Wieder mal ein typisches Beispiel dafür, wie die Journalisten hierzulande ständig Partei für die Gottlosen ergriffen, dachte er.
    Aus alter Gewohnheit hörte sich Ólafur die Mittagsnachrichten an, bekam aber nur wenig von dem mit, was gesagt wurde. Danach ging er wieder ins Bad, um den Kaffee loszuwerden, und zog anschließend im Schlafzimmer ohne zu überlegen dieselben Sachen an, die er bereits seit zwei Tagen trug. Er wollte ja schließlich nirgendwohin. Einigermaßen in die Gänge gekommen, stellte er eines von den Fertiggerichten für einsame Isländer in die Mikrowelle, Hackbällchen mit brauner Sauce und Kartoffelpüree. Das hatte er ungefähr jeden dritten oder vierten Tag getan, seit er in diese Wohnung in einem Hochhaus in Krummahólar eingezogen war, nachdem ihn Sigurlaug vor knapp sechs Jahren aus dem Haus geworfen hatte. Die Hackbällchen schmeckten ihm einfach.
    Ein paar Minuten später saß er bereits wieder in seinem Lazy Boy, hatte das Essen auf einem Tablett vor sich stehen und daneben einen halben Liter Cola. Im Alpha-Sender predigte gerade irgendein Amerikaner. Das fand er alles andere als gut, denn wie so oft machten die sich nicht die Mühe, das, was die Gottesmänner aus den Vereinigten Staaten zu sagen hatten, zu untertiteln, und mit Ólafurs Englischkenntnissen war es nicht allzu weit her. Warum können die nicht unseren Meister zeigen, dachte er, da weiß man, was man hat. Eine halbe Stunde später wurde seine Bitte erhört. Meister Magnús höchstpersönlich, der geistige Führer der heiligen WAHRHEIT , erschien in imposanter Gestalt auf dem Bildschirm und erhob seine unnachahmlich inspirierte Stimme. Schon jetzt freute sich Ólafur auf den morgigen Tag.
    Die Osterpredigten des Meisters waren berühmt bis über die Kreise der WAHRHEIT hinaus, wie die Gemeinde meist genannt wurde, sowohl von denen, die des Segens teilhaftig geworden waren, zum Licht gefunden zu haben, als auch von den anderen, die immer noch in der Finsternis nichtiger Eitelkeit und auf dem Pfad des Verderbens wandelten, wie der Meister es so zutreffend ausgedrückt hatte. Berühmter war nur noch der Meister selbst. Er wurde immer Meister oder Meister Magnús genannt – obwohl, wie Ólafur fand, nicht wenige diese Ehrenbezeichnung reichlich leichtfertig in den Mund nahmen, einige sogar mit kaum verhohlenem Spott. Die Strafe dafür würde sie am Jüngsten Tag, wenn nicht sogar schon vorher ereilen, so viel stand fest.
    Gegen drei bereitete sich Ólafur eine Schnitte mit Rollwurst und Senf zu, die er sich zu einer außerordentlich interessanten Sendung auf Alpha zu Gemüte führte. Ari, der Direktor des
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