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Ringwelt

Titel: Ringwelt
Autoren: Larry Niven
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1. Louis Wu
    Gegen Mitternacht tauchte Louis Wu in einer öffentlichen Reisekabine im Herzen von München auf.
    Sein armlanger Zopf schimmerte so makellos weiß wie künstlicher Schnee. Seine Haut und die enthaarte Schädeldecke waren Chromgelb; die Iris seiner Augen war golden; seine Robe war königsblau mit aufgesetzten goldenen steroptischen Drachen. Im Augenblick, als er in der Kabine materialisierte, lächelte er und zeigte seine perfekten perlfarbenen Standardzähne. Er lächelte und winkte. Dann erlosch dieses Lächeln wieder, und seine Gesichtszüge zerflossen wie eine schmelzende Gummimaske. Louis Wu zeigte sein wahres Alter.
    Einen Atemzug lang beobachtete Louis Wu das Treiben im Zentrum von München: das Materialisieren von Reisenden unbekannter Herkunft in den Kabinen; den Strom der Passanten, die sich zu Fuß über die Gleitstege schoben, weil die Transportbänder bereits abgeschaltet waren. Und dann schlugen die Uhren dreiundzwanzig Uhr. Louis Wu straffte die Schultern, trat aus der Kabine und mischte sich unter die Menge.
    In Greenwich wurde sein Geburtstag immer noch gefeiert, obwohl Mitternacht bereits vorüber war. Hier in München fing der neue Tag erst in einer Stunde an. Louis ging in ein Bierlokal, hielt die Gäste frei und ermunterte sie zu Gesängen auf deutsch und interworld. Kurz vor Mitternacht reiste er nach Budapest weiter.
    Hatten seine Partygäste schon bemerkt, daß das Geburtstagskind sie verlassen hatte? Wahrscheinlich glaubten sie, er habe sich mit einer Frau zurückgezogen und würde in ein paar Stunden wieder in ihrer Mitte auftauchen.
    Doch Louis Wu hatte sich alleine fortgestohlen. Er hüpfte vor der Mitternachtslinie her, ständig verfolgt von dem neuen Tag. Vierundzwanzig Stunden waren nicht lang genug für die Feier eines zweihundertsten Geburtstages.
    Sie kamen auch ohne ihn aus. Louis' Freunde kamen blendend allein zurecht.
    In Budapest gab es Wein und athletische Tänze, Einheimische, die ihn als gut betuchten Touristen in ihrer Mitte duldeten, Touristen, die ihn für einen wohlhabenden Einheimischen hielten. Er tanzte ihre Tänze und trank ihre Weine, und dann reiste er noch vor Mitternacht weiter.
    In Kairo ging er spazieren.
    Die Luft war warm und sauber. Er lüftete seinen vernebelten Kopf aus, schritt über die hellerleuchteten Gleitstege, paßte sich ihrer Zehn-Meilen-pro-Stunde-Geschwindigkeit an. Er mußte daran denken, daß jede Stadt in der Welt über Gleitstege verfügte, die sich alle mit einer Geschwindigkeit von zehn Meilen pro Stunde bewegten.
    Der Gedanke war unerträglich. Nicht neu - nur unerträglich. Louis Wu erkannnte, wie vollkommen sich Kairo, München und Greenwich glichen ... und San Francisco und Topeka und London und Amsterdam. Die Geschäfte entlang der Gleitstege verkauften in allen Städten der Welt die gleichen Produkte. Die Bürger, die ihn in dieser Nacht passierten, sahen alle gleich aus, waren alle gleich gekleidet. Nicht Amerikaner oder Deutsche oder Ägypter, sondern nur noch Planetarier.
    In dreieinhalb Jahrhunderten hatten die Reisekabinen die unendliche Mannigfaltigkeit der Erde eingeebnet. Sie hatten die Welt mit einem Netz von Instant-Reisen überzogen. Der Unterschied zwischen Moskau und Sidney war ein kurzer Augenblick und eine Münze von einem Zehntel Star. Als unvermeidliche Folge waren die Städte in den Jahrhunderten miteinander verschmolzen, bis die Städtenamen nur noch leere Chiffren einer lokalen Vergangenheit darstellten.
    San Francisco und San Diego waren das nördliche und südliche Ende einer einzigen ausgedehnten Küstenstadt. Doch wie viele Leute wußten noch, welches das eine oder das andere Ende war? Verdammt wenige heutzutage.
    Trübe Gedanken für einen Mann an seinem zweihundertsten Geburtstag.
    Doch das Ineinanderfließen der Städte war eine Realität. Louis hatte die Entwicklung selbst miterlebt. All diese irrationalen Wesenszüge von Ort, Zeit und Brauchtum hatten sich zu der nüchternen Rationalität einer weltumspannenden Kommune vereinigt, waren zu einem einzigen grauen Sauerteig geworden. Die Modefarbe der Körperbemalung wechselte überall gleichzeitig wie eine große Flutwelle, die in Sekundenschnelle über den Erdball hinwegzieht.
    Zeit für einen Jahresurlaub? Hinaus in das Unbekannte, allein in einem Ein-Mann-Schiff? Ohne goldfarbene Haftschalen, ohne Schminke, ohne künstliche Haarfarbe, mit einem wild wuchernden Bart im Gesicht .
    »Unsinn«, ermahnte sich Louis, »ich bin doch gerade erst vom
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