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Was am Ende bleibt

Was am Ende bleibt

Titel: Was am Ende bleibt
Autoren: Paula Fox
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1
    Mr. und Mrs. Otto Bentwood zogen ihre Stühle gleichzeitig hervor. Während Otto sich hinsetzte, betrachtete er das Strohkörbchen, in dem die Baguettescheiben lagen, eine Tonkasserolle, gefüllt mit sautierten Hühnerlebern, geschälte, aufgeschnittene Tomaten auf einem ovalen Porzellanteller mit chinesischem Weidenbaummotiv, den Sophie in einem Antiquitätenladen in Brooklyn Heights aufgestöbert hatte, und den Risotto Milanese in einer grünen Keramikschüssel. Ein starkes Licht fiel, vom bunten Glas eines Tiffany-Lampenschirms ein wenig gedämpft, auf dieses Mahl. Ein paar Meter vom Eßzimmertisch entfernt lag ein weißes Rechteck auf dem Boden vor dem Eingang zur Küche, der Widerschein einer fluoreszierenden Röhre über einem Spülbecken aus rostfreiem Stahl. Die alten Schiebetüren, die früher die beiden Räume im Parterre voneinander getrennt hatten, waren längst entfernt worden, so daß die Bentwoods, wenn sie sich nur ein wenig zur Seite drehten, die ganze Länge ihres Wohnzimmers im Blickfeld hatten, wo zu dieser Stunde immer eine Stehlampe mit weißem Halbkugelschirm brannte, und wenn sie wollten, konnten sie die alten Zedernbretter des Fußbodens, ein Regal, in dem zwischen anderen Büchern die gesammelten Werke von Goethe und zwei Bretter voller französischer Dichter standen, und die Ecke eines blankpolierten viktorianischen Sekretärs sehen.
    Mit Bedacht faltete Otto eine große Leinenserviette auseinander.
    «Die Katze ist wieder da», sagte Sophie.
    «Wundert dich das?» fragte Otto. «Was hast du denn erwartet?»
    Sophie blickte über Ottos Schulter zur Glastür. Sie führte zu einer kleinen Holztreppe, die wie ein Krähennest über dem Hinterhof schwebte. Mit sanfter Beharrlichkeit rieb die Katze ihren verwahrlosten, halbverhungerten Körper unten gegen die Tür. Ihr Fell, grau wie das Grau von Baumpilzen, war fast unmerklich gestreift. Ihr Kopf war unförmig, ein Kürbis, mit Hängebacken, ohne Charakter und grotesk.
    «Hör auf, sie anzuschauen», sagte Otto. «Du hättest sie gar nicht erst füttern dürfen.»
    «Wahrscheinlich.»
    «Wir müssen den Tierschutzverein anrufen.»
    «Das arme Ding.»
    «Die kommt sehr gut allein zurecht. Wie alle diese Katzen.»
    «Vielleicht hängt es von Leuten wie mir ab, daß sie überleben.»
    «Die Leber schmeckt gut», sagte er. «Ich sehe nicht ein, was für einen Unterschied es macht, ob sie überleben oder nicht.»
    Die Katze warf sich gegen die Tür.
    «Beachte sie nicht», sagte Otto. «Möchtest du vielleicht, daß alle wilden Katzen von Brooklyn sich auf unserer Terrasse den Bauch vollschlagen? Ich habe neulich gesehen, wie eine einen Vogel gefangen hat. Das sind keine Miezekatzen, weißt du. Das sind Raubtiere.»
    «Schau, wie lang es jetzt noch hell bleibt!»
    «Die Tage werden länger. Ich hoffe, die Leute hier fangen jetzt nicht mit ihren verdammten Bongos an. Vielleicht wird es genauso regnen wie im letzten Frühjahr.»
    «Hättest du gern einen Kaffee?»
    «Tee. Der Regen fesselt sie ans Haus.»
    «Der Regen ist nicht auf
deiner
Seite, Otto!»
    Er lächelte. «Doch.»
    Sie lächelte nicht zurück. Als sie in die Küche ging, wandte sich Otto rasch zur Tür. In diesem Augenblick stemmte die Katze gerade ihren Kopf gegen das Glas. «Gräßliches Mistvieh!» murmelte Otto. Die Katze sah ihn an, dann huschte ihr Blick weiter. Für ihn fühlte sich das Haus massiv und solide an; das Gefühl dieser Solidität war wie eine Hand, die sich fest auf sein Kreuz legte. Über den Hof hinweg, vorbei an den hektischen Bewegungen der Katze, sah er die rückwärtigen Fenster der Häuser an der verslumten Straße. Vor manche Fenster waren Lumpen, vor andere durchsichtige Plastikfolien genagelt. Von einem Sims baumelte eine blaue Decke herab. In der Mitte war ein langer Riß, durch den er die verblaßten rosa Ziegel der Mauer sehen konnte. Das zerfetzte Ende der Decke stieß gegen den oberen Rahmen einer Tür, die sich gerade in dem Moment, als Otto sich abwenden wollte, öffnete. Eine dicke ältere Frau im Bademantel bahnte sich ihren Weg in den Hof und leerte eine große Papiertüte auf den Boden. Einen Augenblick starrte sie auf den Abfall und schlurfte dann wieder hinein. Sophie kam mit Tassen und Untertassen zurück.
    «Auf der Straße habe ich Bullin getroffen», sagte Otto. «Er hat mir erzählt, daß da drüben noch zwei Häuser verkauft wurden.» Er deutete mit der Hand auf die rückwärtigen Fenster. Aus den Augenwinkeln sah er, wie die Katze
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