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Der Weg des Unsterblichen

Der Weg des Unsterblichen

Titel: Der Weg des Unsterblichen
Autoren: Anne Lueck
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    Noé - »Hast du das mit Diogo gehört?«
    Ich war kaum aus der Haustür getreten, als mir dieser Satz entgegensprang und mich völlig aus dem Konzept brachte. Die Worte kamen aus dem perfekt rot geschminkten Mund meiner besten Freundin Monja, die an unserem Gartenzaun stand und ungeduldig mit ihren langen Fingernägeln auf das Holz klopfte. Auf einen Schlag waren meine eben noch so verschlafenen Ohren hellwach, und mich beschlich ein ziemlich ungutes Gefühl. Diogo war der Bäcker unseres Viertels, ein wirklich fieser Kerl, der gerne mit trockenen Brotstücken nach uns warf, wenn wir zu nah an seine geliebten Tulpenbeete kamen. Trotz der noch sommerlichen Temperaturen fröstelte ich auf einmal. Angst stieg in mir auf. »Nein, was ist denn mit ihm?«
    Ich zog die Haustür zu und versuchte, nicht allzu nervös zu wirken, als ich die dreiTreppenstufen nach unten ging und zu Monja an den Zaun trat.
    »Ich wollte dich eigentlich gestern Abend schon anrufen und es dir erzählen, aber mein Vater hat mir mein Handy abgenommen. Angeblich hab ich zu viel telefoniert.« Monja verdrehte erst die Augen, dann drückte sie ihre Schulbücher an ihre Brust und senkte die Stimme, auch wenn um uns herum weit und breit niemand zu sehen war, der uns hätte hören können. »Diogo ist gestern verhaftet worden. Von den Engeln.«
    Ich zuckte erschrocken zusammen. »Was, warum?« Aber eigentlich kannte ich die Antwort auf meine Frage schon. Es war immer dasselbe.
    »Angeblich hat er die meisten seiner Zutaten von Dämonen bezogen. Krass, oder? Hätte ich ihm gar nicht zugetraut.«
    Ich schluckte schwer, und es fühlte sich an, als würde sehr langsam ein faustgroßer Stein meine Kehle nach unten wandern. »Das ist ja furchtbar…«
    Monja schnaubte schnippisch, und wir machten uns gemächlich auf den Weg zurSchule. »Warum bist du so geschockt?«, brummte sie dabei. »Um den blöden Kerl ist es doch nicht schade! Ich persönlich hoffe ja, dass er im Gefängnis schmort, bis er alt und grau ist.«
    Es war auch weniger die Tatsache, dass es ihn erwischt hatte, die mich erschütterte. Aber er war schon der dritte innerhalb von nur einer Woche. Und da war noch etwas, das einen bitteren Geschmack auf meiner Zunge hinterließ und dank dem sich mein Magen anfühlte, als würde er jetzt den Stein verdauen, der gerade meine Kehle verlassen hatte.
    Endlich kapierte auch Monja, und ich konnte förmlich hören, wie sie sich peinlich berührt auf die Zunge biss. »Ach, Mist, entschuldige. Ich habe nicht daran gedacht, dass dich das an deinen Vater erinnern könnte…«
    Ich schüttelte abwehrend den Kopf. »Hör auf dich zu entschuldigen, ich komme schon klar. Die Geschichte ist sieben Jahre her.«
    »Ja.« Monja nickte. »Und dein Vater war auch nicht so ein ekelhafter Typ wie Diogo. Um den weint doch keiner.«
    Eine Weile liefen wir schweigend nebeneinander her; ich hörte nur den knirschenden Kiesweg unter unseren Schuhen und mein rasendes Herz. Warum passierte das in letzter Zeit so häufig, dass Menschen aus unserer Stadt und der näheren Umgebung verhaftet wurden? Handelten immer mehr Leute mit Dämonen oder wurden die Engel wachsamer?
    »Ich ärgere mich so!« Monja kickte gerade einen größeren Stein von ihren Füßen weg und schob ihre Unterlippe nach vorn wie ein trotziges Kind. »Meine Mutter wollte mich gestern Abend noch zum Bäcker schicken, aber ich war zu faul! Mann, ich hätte die Engel wirklich gerne gesehen!«
    Unwillkürlich entfuhr mir ein Stöhnen. »Bitte sag nicht, dass das jetzt wieder losgeht. Du bist wie besessen.«
    Die Engel. Eigentlich wusste keiner von uns, ob sie wirklich Engel waren, aber auch unbegreiflichen Dingen musste man bekanntlich einen Namen geben. Ich bezeichnete sie am liebsten als diktatorische Regierungstyrannen. Sie waren schon seit etwa tausend Jahren diehöhere Regierung von uns Menschen. Drei Vorsitzende, ausgestattet mit absoluter Entscheidungsmacht über uns, denen tausende Soldaten unterstanden. Wir bezeichneten sie als unsterblich, auch wenn sie durchaus irgendwann starben. Allerdings war es ihnen vergönnt, viele tausend Jahre zu leben und auch während ihres Lebens waren sie nur äußerst schwer kleinzukriegen.
    Das Erste, das jedes Kind in der Grundschule aus den Geschichtsbüchern lernte, war, dass die Engel vor tausend Jahren die Menschheit vor dem Aussterben gerettet hatten. Deshalb waren sie unsere Beschützer, unsere Helden. Und scheinbar war noch kaum jemandem aufgefallen, dass sich mit
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