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Die Suche nach dem Regenbogen

Titel: Die Suche nach dem Regenbogen
Autoren: Judith Merkle-Riley
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Hadriel.«
    »Hadriel? Von Gabriel, Uriel, Raphael und Michael habe ich gehört, aber noch nie von einem Hadriel.«
    »Er ist mir einst im Traum erschienen. Ich habe ihn gemalt, wie ich ihn gesehen habe.«
    »Ihr seid ein Glückskind, daß Ihr Eure Träume malen könnt. Hatte er eine Botschaft für Euch?« Sie hörte sich sehr fachmännisch an. Äbtissinnen dürften sich gut mit Visionen und Träumen auskennen.
    »Ja, so ist es, aber ich bin nie dahintergekommen, was er gemeint hat. Da habe ich sein Bild gemalt und so weitergemacht wie bisher.«
    Die Äbtissin lächelte. »Menschen, denen solch ein Traum geschenkt wurde, halten in der Regel Einkehr und Umkehr. Was genau hat er gesagt?« .
    »Er hat gesagt, wenn ich einen Regenbogen mit meinen Händen einfangen könnte, dürfte ich ihn behalten. Aber wie sollte ich wohl, das ist doch ganz und gar unmöglich, und seit ich in Frankreich bin, hat es ohnedies nur geregnet, höchstens mal geschneit, und ich habe keinen einzigen klitzekleinen Regenbogen gesehen. Es war alles Unsinn. Aber netter Unsinn. Wenn ich ein besserer Mensch wäre, hätte ich vielleicht einen Traum geschenkt bekommen, den ich verstehen könnte.«
    »Oh, was für eine seltsame Botschaft! Was habt Ihr danach getan?«
    »Nun ja, mein Mann wurde ermordet, und ich mußte mich mit meiner Malerei durchschlagen.«
    »Hmmm«, sagte die Äbtissin, trommelte mit einem Finger auf dem Tisch und blickte in die Luft. »Ich muß über die Auslegung nachdenken. Es ist nicht einfach. Ich werde um Weisung beten. Visionen und Träume haben immer eine Bedeutung. Ihr sollt etwas ausführen, aber das habt Ihr offensichtlich nicht getan, sonst säßet Ihr nicht in dieser schlimmen Klemme. Ich werde Schwester Claire bitten, Euch und Eurer Gefährtin zwei Betten im Dormitorium anzuweisen. Versteht Ihr Euch aufs Vergolden? Wir haben zwar viele Illuminatorinnen und Kopistinnen, aber Schwester Agatha, die für uns vergoldet hat, ist vor kurzem heimgegangen, und so ist die Neuvergoldung des Altarbildes erst halb fertig.«
    Die nächsten Tage verliefen sehr beschaulich und gleichmäßig. Alle zwei Stunden wurde gebetet und gesungen, was sehr beruhigend auf das Gemüt wirkt und einen böse grüne Augen, die im Dunkeln funkeln, und formlose schwarze Wesen, die Menschen auffressen, wenigstens für ein Weilchen vergessen läßt. Die Vögel mußten mit der Küche vorliebnehmen – da die Regeln besagten, daß niemand Tiere halten durfte, und dabei wurden beinahe überall Katzen und kleine Hunde versteckt-, aber da war es ohnedies wärmer für sie. Nan erzählte der Äbtissin alles über die schwarzen Wesen und weinte und weinte, und das tat ihr gut, und danach half sie in der Wäscherei, denn sie sagte, sie müßte bis an ihr Lebensende waschen, wenn sie die Erinnerung an diese schwarzen Wesen auswaschen wollte. Und schon bald wurde sie von allen über die grimmigen schwarzen Wesen ausgequetscht, die ein böser Hexenmeister geschickt hatte, weil ich meine Tugend bewahren wollte, und alle entrüsteten sich, und Nan freute sich, daß sie die Geschichte wieder und wieder erzählen durfte und bei all den frommen Damen damit Eindruck machte.
    Was mich anging, so gab es viel auszubessern, beispielsweise eine sehr hübsche, kleine Madonna, auf die es leider durch eine undichte Stelle im Dach herabgeregnet hatte, und ein paar alte Porträts von früheren Äbtissinnen, die nicht gut gemalt waren und von denen die Farbe abblätterte. Die hatten wohl im Keller gelagert, wo sie feucht geworden waren, denn so sahen sie aus. Ich arbeitete aber auch an den Miniaturen für die Herzogin, und daher führte ich in meinem Versteck ein sehr angenehmes Leben, doch ich sorgte mich noch immer, daß böse Menschen kommen würden, und böse Menschen wollte ich wirklich nicht mehr sehen. Ich fand, daß ich mich im Alter mit dieser Lebensweise durchaus anfreunden könnte, doch im Augenblick war ich noch zu jung dafür, denn Robert Ashford wollte mir nicht aus dem Kopf, was bewies, daß ich nicht das Zeug zur Nonne hatte.

    Nachmittags brach die Sonne durch und funkelte auf bereiften Zweigen und den gefrorenen Pfützen auf der Landstraße, aber dennoch kam der Atem von Mensch und Pferd weiß wie Dampf. Zwei Reiter zogen auf kleinen, mit Winterschabracken geschützten Pferden durch die hügelige Landschaft, ihnen folgte ein Packpferd mit nur zur Hälfte beladenem Packsattel. An einer Kreuzung hielten Robert Ashford und sein Diener an, auch sie gegen die Kälte gut
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