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Die Straße in die Stadt

Die Straße in die Stadt

Titel: Die Straße in die Stadt
Autoren: Natalia Ginzburg
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junges Mädchen dürfe nicht zu Leuten nach Hause gehen, die zusammenlebten, ohne zu heiraten. Schlecht gelaunt kam ich an jenem Abend heim, und während ich mich auszog, um zu Bett zu gehen, dachte ich, daß Giulio mich in die Pineta führte und sich damit amüsierte, mich zu küssen, und unterdessen die Zeit verging, ohne daß er bisher um meine Hand angehalten hätte. Dabei konnte ich es kaum erwarten zu heiraten. Aber ich dachte, daß ich nach der Hochzeit frei sein und die Welt genießen wollte, und mit Giulio wäre ich vielleicht kein bißchen frei gewesen. Vielleicht würde er es mit mir machen wie sein Vater, der seine Frau zu Hause einsperrte, weil er meinte, der Platz der Frau sei in den häuslichen vier Wänden, und sie war zu einer krätzigen Alten geworden, die den ganzen Tag am Fenster stand und den Leuten nachsah.
    Ich wußte nicht, warum, aber es schien mir so schrecklich, den Nini nicht mehr im Haus zu sehen, mit seinem Haarschopf über den Augen und seinem alten, zerschlissenen Regenmantel und seinen Büchern, und ihn nicht mehr predigen zu hören, ich solle meiner Mutter helfen. Einmal ging ich ihn besuchen, um Giulio zu ärgern. Es war Sonntag, und sie kochten Tee für mich, servierten ihn mit Gebäck auf einer schönen, gestickten Tischdecke, und Antonietta, die Witwe, begrüßte mich freudig und küßte mich auf beide Wangen. Sie war eine gutgekleidete, angemalte kleine Frau mit feinen blonden Haaren, schmächtigen Schultern und fetter Taille. Die Kinder waren auch da und machten Hausaufgaben. Nini saß neben dem Radio und hielt nicht immer ein Buch in der Hand wie zu Hause. Sie zeigten mir die ganze Wohnung, das Bad, das Schlafzimmer, und überall standen Blumentöpfe mit Sukkulenten herum. Es war viel sauberer und glänzender als bei Azalea. Wir unterhielten uns über dies und das, und sie luden mich ein, bald wiederzukommen.
    Auf dem Rückweg begleitete Nini mich ein Stück. Ich fragte ihn, warum er nicht mehr heimkomme, und sagte ihm, daß ich mich ohne ihn zu Hause noch mehr langweilte. Und mir kamen die Tränen. Er setzte sich mit mir auf eine Bank und hielt mich ein wenig fest, dabei streichelte er meine Hände und sagte, ich solle aufhören zu weinen, denn sonst würde meine Wimperntusche verschmieren. Ich sagte ihm, daß ich keine Wimperntusche benutzte, ich sei nicht wie Antonietta, die wie ein Clown aussah, so geschminkt, wie sie war, und er täte besser daran, wieder nach Hause zu kommen. Er sagte, daß ich mir lieber eine Arbeit suchen und in die Stadt ziehen solle, dann würden wir abends ins Kino gehen, aber ich müsse wirklich endlich etwas tun, um Geld zu verdienen und unabhängig zu werden. Ich sagte ihm, ich dächte gar nicht daran, und er solle es sich aus dem Kopf schlagen, außerdem würde ich bald Giulio heiraten, und dann würden wir in die Stadt ziehen, weil Giulio das Dorf auch wenig gefiel. So trennten wir uns.
    I
    ch erzählte Giulio, daß ich bei Nini gewesen war, aber er regte sich nicht darüber auf. Er sagte nur, er bedaure es, daß ich Dinge täte, die ihm mißfielen. Ich erzählte von Antonietta und der Wohnung, und er fragte mich, ob ich auch gern so eine Wohnung hätte. Und dann sagte er, wenn er das Staatsexamen abgelegt hätte, würden wir heiraten, aber vorher sei es nicht möglich, und so lange dürfe ich nicht unartig sein.
    »Ich bin nicht unartig«, erwiderte ich.
    Er sagte, ich solle morgen mit ihm nach Fonte Le Macchie gehen. Um nach Fonte Le Macchie zu gelangen, mußte man ein Stück bergauf gehen, und ich ging nicht gern bergauf, und außerdem hatte ich Angst vor Vipern.
    »Dort in der Gegend gibt es keine Vipern«, sagte er zu mir, »und wir werden Brombeeren pflücken und uns ausruhen, sooft du willst.«
    Eine Weile tat ich so, als verstünde ich nicht, und sagte zu ihm, Giovanni würde auch mitkommen, aber er sagte, Giovanni wolle er nicht dabeihaben, und wir beide müßten allein sein.
    Bis Fonte Le Macchie kamen wir nicht, weil ich auf halber Strecke stehenblieb, mich auf einen Stein setzte und sagte, ich würde nicht weitergehen. Um mich zu erschrecken, fing Giulio an zu schreien, er sehe eine Viper, ja, ja, er habe sie gesehen, sie sei gelb und bewege den Schwanz hin und her. Ich sagte, er solle mich in Ruhe lassen, ich sei todmüde und hungrig. Er holte den Proviant aus der Tasche. Er hatte auch Wein in der Feldflasche dabei und gab mir davon zu trinken, bis ich mich benommen ins Gras fallen ließ und das geschah, was ich erwartet
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