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Die Straße in die Stadt

Die Straße in die Stadt

Titel: Die Straße in die Stadt
Autoren: Natalia Ginzburg
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der Wiege lag, und nach einer Weile wurde ich wütend und ging fort. Ich konnte es kaum glauben, wenn ich aus dem Haus trat und die Stadt vor mir sah, ohne lange auf der staubigen Straße voller Karren gegangen zu sein, ohne zerzaust und müde anzukommen, voller Kummer, sie gleich nach Anbruch der Dunkelheit wieder verlassen zu müssen, wenn sie am interessantesten wurde. Ich traf mich mit Azalea, und wir setzten uns ins Café. Nach und nach begann ich, so zu leben wie Azalea. Ich verbrachte die Tage im Bett und stand gegen Abend auf, schminkte mich und ging aus, den Fuchs über die Schulter geworfen. Im Gehen blickte ich mich um und lächelte frech, wie Azalea es immer machte.
    Einmal, während ich nach Hause zurückkehrte, begegnete ich Antonietta und Giovanni. Sie gingen eng umschlungen und mit eingezogenem Kopf, weil es regnete und sie keinen Schirm hatten. »Guten Tag«, sagte ich. Wir gingen zusammen ins Café. Ich erwartete, daß sich Antonietta jeden Augenblick auf mich stürzen und mich mit ihren glänzenden, spitzen Fingernägeln kratzen würde, an denen sie tagelang herumfeilen mußte, obwohl es die Mühe nicht lohnte, häßlich und alt, wie sie geworden war. Aber sie sah nicht aus, als wollte sie mich kratzen, es schien fast, als fürchte sie sich vor dem, was ich über sie sagen würde, und sie verbarg ihre Füße unter dem Sessel, wenn sie merkte, daß ich sie betrachtete. Sie sagte, sie habe mein Kind im Kinderwagen gesehen, während es draußen im Park war, und sie wäre gern hingegangen, um ihm ein Küßchen zu geben, habe sich aber nicht getraut wegen des Dienstmädchens.
    »Du Glückliche, du hast ein Dienstmädchen«, sagte sie zu mir, »ich muß alles allein machen. Aber es gibt nicht viel zu tun, weil keine Männer im Haus sind, ich lebe ja allein mit den Kindern.«
    Nachdem sie das gesagt hatte, errötete sie, bekam Flecken am Hals, und wir verstummten und sahen uns an, mit dem gleichen Gedanken im Kopf. Aber dann fing sie wieder an, mich nach meinem Kind und meinem Mann zu fragen und ob ich tanzen ginge und ein lustiges Leben führte.
    »Nach Hause kommst du nicht«, sagte Giovanni zu mir. Und er sagte, zu Hause sei es immer dasselbe, und glücklich der, der abgehauen sei. Er bat mich, ihm Geld zu leihen, denn er arbeite zwar, das sei wahr, aber zu Hause nähmen sie ihm dann alles weg, und seine Taschen seien immer leer.
    Sie begleiteten mich bis zur Haustür, und dort verabschiedeten sie sich, und während ich mich in meinem Zimmer auszog, dachte ich an Giovanni, der vielleicht gerade die Brücke überquerte und auf der dunklen Straße nach Hause ging, denn bei Antonietta wollte er nicht wohnen, sonst mußte er sie womöglich noch heiraten. Über den Nini hatten wir nicht gesprochen in der ganzen Zeit, die wir zusammen im Café gewesen waren, als hätten wir vergessen, daß es ihm früher auch einmal gefiel, im Café zu sitzen, zu rauchen und zu reden, quer über dem Stuhl hängend, mit den Fingern im Haarschopf und hochgerecktem Kinn. Doch es wurde immer schwieriger, an ihn zu denken, an das Gesicht, das er hatte, und an die Dinge, die er immer sagte, und er schien mir schon so fern, daß es angst machte, daran zu denken, denn die Toten machen angst.
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