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Die Straße in die Stadt

Die Straße in die Stadt

Titel: Die Straße in die Stadt
Autoren: Natalia Ginzburg
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getan habe, und er zog es aus seiner Jacke, aber das Kind war winzig klein geworden, so klein wie ein Apfel, und plötzlich rannte der Nini eine Treppe hinauf, und Giovanni war auch da, und ich rief, aber niemand antwortete mir.
    Ich erwachte ganz verängstigt und verschwitzt und sah Giulio an meinem Bett, denn es war schon Morgen, und er war früh gekommen, um nachzusehen, wie ich mich fühlte. Ich sagte ihm, ich hätte geträumt, daß der Nini mein Kind stahl.
    »Nein, sie haben es nicht gestohlen«, sagte er zu mir, »da liegt es und schläft, du brauchst keine Angst zu haben, niemand kommt, um es dir wegzunehmen.«
    Ich aber wiederholte ihm immer wieder, daß ich den Nini vor mir gesehen hätte, als wäre er noch lebendig, und er hätte mich berührt und mit mir gesprochen, und ich schluchzte und krümmte mich auf dem Bett. Giulio sagte zu mir, ich solle lernen, mich zu beherrschen, und nicht so nervös sein.

 

     
     
-

    W
    enige Tage später wurde ich aus dem Krankenhaus entlassen und zog in meine neue Wohnung. Und es begann ein neues Leben für mich, ein Leben, in dem es keinen Nini mehr gab, denn er war tot, und ich durfte nicht an ihn denken, weil es nichts nützte, und in dem es statt dessen das Kind gab, Giulio, die Wohnung mit den neuen Möbeln, den Vorhängen und den Lampen, das Dienstmädchen, das meine Schwiegermutter aufgestöbert hatte, und meine Schwiegermutter, die ab und zu vorbeikam. Um das Kind kümmerte sich das Dienstmädchen, und ich schlief bis zum späten Vormittag, in dem großen Ehebett mit der orangefarbenen Samtdecke und dem kleinen Teppich auf dem Boden, um die Füße darauf zu stellen, und der Glocke, um das Dienstmädchen zu rufen. Ich stand auf und wanderte im Morgenrock durch die Wohnung und bewunderte die Möbel und die Zimmer, während ich mir ganz sacht die Haare bürstete und meinen Kaffee trank. Ich dachte zurück an das Haus meiner Mutter, mit der Hühnerkacke überall, mit den Feuchtigkeitsflecken an den Wänden und den an die Lampe gebundenen Fliegenfängern im Eßzimmer. Gab es dieses Haus noch? Azalea sagte, wir müßten eines Tages zusammen hingehen, aber ich hatte keine Lust dazu, weil ich mich schämte bei dem Gedanken, daß ich früher auch dort gelebt hatte, und außerdem hätte es mich geschmerzt, Giovannis Zimmer wiederzusehen, wo auch der Nini geschlafen hatte, damals, als wir noch alle zusammenwohnten. Wenn ich in die Stadt ging, hielt ich mich vom Fluß fern und suchte die belebtesten Straßen, damit die Leute mich sehen könnten, so wie ich jetzt war, mit den neuen Kleidern und dem geschminkten Mund. Ich fühlte mich jetzt so schön, daß ich es nie müde wurde, in den Spiegel zu schauen, und es schien mir, keine Frau sei je so schön gewesen.
    Wenn meine Schwiegermutter kam, schloß sie sich mit dem Dienstmädchen in der Küche ein und fragte es über mich aus, und ich legte mein Ohr an die Tür und lauschte. Das Dienstmädchen sagte, ich hätte mein Kind nicht lieb und ginge nie zu ihm, um es aufzunehmen, wenn es weinte, und ich erkundigte mich nicht einmal, ob es gegessen habe, und sie müsse alles selber machen, das Kind versorgen und kochen und waschen, weil ich immer unterwegs sei oder mich im Spiegel anschaute oder schliefe und nicht einmal einen Löffel voll Brühe kochen könne. Meine Schwiegermutter beklagte sich bei Giulio, doch er sagte, das sei nicht wahr, ich vergöttere das Kind, und er sehe es dauernd bei mir auf dem Arm, und wenn ich manchmal einen Stadtbummel mache, so sei das nichts Schlechtes, denn ich sei jung und müsse mich zerstreuen, er selbst ermuntere mich auszugehen. Giulio war jetzt so verliebt in mich, daß ihm weder an seiner Mutter noch an sonst irgendwem noch etwas lag, und seine Mutter sagte immer zu ihm, er sei verblödet und sehe die Wahrheit nicht mehr, und wenn ich ihm eines Tages Hörner aufsetzte, würde er bekommen, was er verdiente. Zu mir dagegen sagte sie nichts, weil ich ihr angst machte, sondern sie sprach immer lächelnd mit mir und lud mich ein, sie zu besuchen, und traute sich auch nicht mehr, meine Schubladen zu öffnen, nachdem ich ihr gesagt hatte, sie solle sich um ihre eigenen Angelegenheiten kümmern.
    ›Wenn das Kind größer ist‹, dachte ich, ›wird es mehr Spaß machen mit ihm, wenn es erst auf dem Dreirad durch die Wohnung saust und ich ihm Spielsachen und Bonbons kaufen muß.‹ Aber jetzt war es immer gleich, jedesmal wenn ich es betrachtete, wie es mit seinem großen Kopf auf dem Kissen in
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