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2595 - Wanderer am Scheideweg

2595 - Wanderer am Scheideweg

Titel: 2595 - Wanderer am Scheideweg
Autoren: Michael Marcus Thurner
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1.
    Pral
     
    Humor.
    Das Herbeireden eines Zustandes der Belustigung. Eines Zustandes, dessen Bedeutung für die Terraner ein Maahk wie Pral zwar akzeptieren - aber verstandesgemäß nicht vollständig erfassen konnte.
    Zum 16. Mal ließ er sich in die Trivid- Aufzeichnung der »Großen Multi-Vers- Show 1462« hineinziehen. Er wurde zum Teil des Publikums und hatte das Gefühl, nur wenige Meter neben den drei konkurrierenden Talkmastern Joyn Hastings, Mara Lutzgren und Poivy Li- Immervoll zu stehen.
    Falsch!, korrigierte sich Pral. Sie konkurrieren nicht. Sie bereiten sich gegenseitig die Pointen vor. So zumindest hat es mir Mondra Diamond erklärt.
    »... die gute Nachricht ist: Ich konnte die Ladezellen wechseln!«
    Überbordendes Gelächter ertönte. Pral zoomte mit sorgfältig abgezirkelten Krallenbewegungen auf das Gesicht eines der Zuseher und beobachtete, wie sich die Hautlappen gegeneinander verschoben, wie sich die Lippenmuskulatur anspannte und die Frau ihre Zahnleisten verschob. Selbst wenn er gewollt hätte, hätte er diese Veränderungen im Ausdruck niemals nachvollziehen können. Seine Physiognomie erlaubte es nicht.
    »Das erinnert mich an die ganz besonderen Gebräuche in einer alpinen Regionalprovinz!«, rief Mara Lutzgren, sobald das Gelächter verstummt war. Sie drängte ihre beiden Kollegen beiseite. Aus den mit Metallringen gedehnten Nasenlöchern fuhren Rauchwölkchen, die sich miteinander verbanden und ein Menschenpaar während der Kopulation zeigten. »Diese Geschichte wurde mir während eines Aufenthalts im weltberühmten Heilbad Beljak zugetragen ... «
    Ein lauter Knall ertönte. Ein Bild erschien wie von Zauberhand. Es zeigte ein kleines Städtchen, das von Hügeln und Bergen eingerahmt wurde. Aus dem Off ertönte eine kräftige Stimme. Sie pries die Vorzüge des Heilbads Beljak in blumiger Sprache an.
    Nach wenigen Sekunden zerplatzten die Bilder der Werbebotschaft. Dahinter tauchten wieder die drei Entertainer auf, Mara Lutzgren setzte ihre Erzählung fort.
    Pral sprach den Text mit. Er imitierte die Betonungen und ahmte die Bewegungen der Frau nach. Womöglich war auch die Tonhöhe von Bedeutung?
    »...oral und ... Admiral!«, endete Mara Lutzgren. Ein weiteres Mal bogen sich die Zuseher vor Lachen.
    Pral konnte diese Heiterkeitsausbrüche nicht nachvollziehen. Er war ein Schattenmaahk, er kannte Gefühle, aber er verstand das alles nicht. Was war so lustig daran, den Ruf eines militärischen Strategen zu verunglimpfen? Oder bestand das Geheimnis terranischen Humors darin, auf Kosten anderer Wesen Befriedigung zu erhalten?
    »Sie machen andere schlecht, um selbst besser dazustehen«, mutmaßte Pral.
    Er dachte an jene Überlieferungen, die ein gewisser Grek 6651/2 vor rund 150 Jahren erarbeitet hatte. Der Maahk hatte sich einen sogenannten LemSim einpflanzen lassen, um die gesamte Palette terranischer Empfindungen nachvollziehen zu können. Er hatte ein kurzes, aber intensives Leben geführt - und über seine Erfahrungen bloß Positives zu berichten gehabt. Seine Aufzeichnungen waren der Geheimhaltung der Maahks unterlegen; doch über verschlungene Wege waren irgendwie, irgendwann Kopien in den Besitz der Schattenmaahks gelangt.
    Die Berichte von Grek 6651/2 gaben ein beredtes Zeugnis darüber ab, was den maahkschen Völkern trotz gesellschaftlicher und genetischer Prägung möglich war: Sie waren in der Lage, Logik Logik sein zu lassen. Und irgendwann waren die Schattenmaahks auch in dieser Hinsicht die Vorreiter, da war sich Pral sicher.
    Er schaltete die Trivid-Bilder weg. Augenblicklich fand er sich in seinem karg eingerichteten Ruhezimmer wieder.
    Er war müde, und dennoch fand er in diesen Tagen kaum Schlaf. Rings um ihn wurde Geschichte geschrieben. Geschichte, deren Bestandteil er war und die einstmals in den Archivarkrügen seines Geleges eingedost werden würde. Wenn sich jemand fand und die Aufzeichnung der Geschehnisse nach maahkscher Tradition übernahm ...
    Ein Signalton erklang. Ein terranischer Signalton. Man machte ihn darauf aufmerksam, dass seine Ruhezeit zu Ende war. Pral richtete sich auf und ließ den Methangasgehalt im Raum um ein halbes Prozent erhöhen. Die euphorisierende Wirkung ließ nicht lange auf sich warten. Die Spannungen in seinem Körper lösten sich, er fühlte sich gut.
    Er schlüpfte in seinen Schutzanzug, flutete ihn und verließ das Habitat. Mit Schritten, die ein Terraner »beschwingt« nennen würde.
    *
    Die triste Umgebung von TALIN ANTHURESTA
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