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Der rote Tod

Der rote Tod

Titel: Der rote Tod
Autoren: Pat N. Elrod
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KAPITEL
1

    Long Island, April 1773 »Du bist ein hochmütiger, halsstarriger, undankbarer Schuft!«
    Solchermaßen sprach – oder besser: schrie – meine Mutter mit mir, ihrem einzigen Sohn.
    Um gerecht zu sein, es war keiner ihrer besseren Tage, aber sie hatte davon so wenige, dass niemand von uns es gewöhnt war, Unterschiede in ihrer Laune zu bemerken. Gut oder schlecht, am besten war es, sie mit der Vorsicht und Ehrerbietung zu behandeln, die sie forderte, wenn schon nicht offen, so doch stillschweigend. An diesem Tag, oder zumindest in diesem Augenblick, hatte ich es versäumt, diese unausgesprochene Verhaltensregel zu befolgen, und kam für die nächsten fünf Minuten in den Genuss einer höhnischen, ätzenden Strafpredigt, in der die negativen Aspekte meines Charakters einzeln aufgezählt wurden. Wenn man bedenkt, dass sie bis vor kurzem fünfzehn meiner siebzehn Jahre ohne meine Gesellschaft gelebt hatte, verfügte sie über einen erstaunlich großen Wissensschatz, auf den sie für ihre Beschimpfungen zurückgreifen konnte.
    Als sie eine Pause einlegte, um Luft zu holen, war ich bereits von Kopf bis Fuß blutrot angelaufen, und der Schweiß kitzelte und brannte unter meinen Armen und in meinen Augen. Durch die Anstrengung, die es erforderte, meine eigenen hitzigen Emotionen im Zaum zu halten, atmete ich schwer.
    »Und wage es nicht, deine Mutter so finster anzublicken, Jonathan Fonteyn«, befahl sie.
    Was soll ich denn sonst tun?, fauchte ich sie in Gedanken an. Außerdem hatte sie meinen zweiten Vornamen benutzt, den ich hasste, was auch der Grund dafür war, dass sie ihn benutzt hatte.
    Es war ihr Mädchenname und damit noch eine weitere Verbindung zu ihr. Ich schluckte, und mit großer Mühe versuchte ich mich so weit zu beruhigen, dass ich meinem Gesicht neutralere Züge verleihen konnte. Nach unten zu blicken half dabei.
    »Es tut mir Leid, Mutter. Bitte verzeih mir.« Die Worte waren offenkundig gezwungen und steif und täuschten niemanden. An diesem Punkt war eine Demonstration meiner Unterwürfigkeit vonnöten, und sei es nur, um sie davon abzuhalten, mit einer neuen Tirade zu beginnen.
    Ungehindert durch die Verpflichtung, ihrem Sohn Respekt zu erweisen, stand es der Frau frei, mich so lange anzustarren, wie es ihr beliebte. Sie hatte dies zu einer wahren Kunst entwickelt. Auch erwiderte sie kein Wort darauf, was ich soeben gesagt hatte, und das bedeutete, dass sie meine Entschuldigung nicht annahm. Huldvolle Gesten der Vergebung waren einzig für die Momente reserviert, in denen ein Dritter als Zeuge ihrer liebevollen Geduld mit ihrem widerspenstigen Sohn anwesend war. Doch jetzt waren wir allein in Vaters Bibliothek. Nicht einmal ein Bediensteter befand sich in Hörweite ihrer Stimme, einem Äquivalent zu Honig auf zerbrochenem Glas.
    Ich fuhr fort, den Boden zu studieren, bis sie wieder zu sprechen anhob: »Ich will von deinem Unsinn nichts mehr hören, Jonathan. Es gibt viele andere junge Männer, die glücklich wären, mit dir zu tauschen.«
    Finde einen, dachte ich, und ich würde auf der Stelle einen Handel mit ihm abschließen.
    »Das Abkommen wurde getroffen und kann nicht rückgängig gemacht werden. Du hast keinen Grund, dich deshalb über irgendetwas zu beschweren.«
    Das entsprach der Wahrheit, wie ich mir eingestehen musste. Die Gelegenheit war fabelhaft, etwas, auf das ich mich begierig gestürzt hätte, wäre sie mir auf irgendeine andere Art dargeboten worden, vorzugsweise von einem Erwachsenen zu einem anderen. Was ich beanstandete, war, dass alles ohne mein Wissen arrangiert worden war und man mich ohne Warnung überfallen hatte, ohne Möglichkeit, darüber zu diskutieren.
    Ich holte tief Luft, in der Hoffnung, das würde mich beruhigen, und versuchte meinen Ärger zu verdrängen. Der Atem musste langsam und leise entweichen, damit sie es nicht als Unverschämtheit interpretierte.
    Schließlich hob ich meinen Blick und sagte: »Ich bin ganz überwältigt, Mutter. Es kommt jedoch ziemlich unerwartet.«
    »Das glaube ich kaum«, entgegnete sie. »Dein Vater und ich haben schon vor langer Zeit entschieden, dass du Jura studieren solltest.«
    Lügnerin. Ich hatte das in den Jahren entschieden, in denen sie getrennt von uns in Philadelphia gelebt hatte. Wenn sie doch nur dort geblieben wäre.
    »Es ist unsere größte Hoffnung, dass du nicht nur in Vaters Fußstapfen trittst, sondern ihn mit deinem Erfolg übertriffst.«
    Ich presste die Kiefer zusammen angesichts des
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