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Die Straße in die Stadt

Die Straße in die Stadt

Titel: Die Straße in die Stadt
Autoren: Natalia Ginzburg
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»verbrennt sie. Daß ich sie nie mehr sehe. Daß ich nie mehr dieses Gesicht sehe. Dieses dumme, böse Gesicht«, sagte sie und zerriß das Bild eines Offiziers, der lächelte. Dann fing sie an zu weinen und zu schreien und schlug mit dem Kopf gegen das Bettgestell.
    »Jetzt kriegt sie Krämpfe«, sagte Ottavia, »das passierte meiner Mutter auch manchmal. Man muß ihr den Bauch mit kaltem Wasser befeuchten.«
    Azalea erlaubte nicht, daß wir ihren Bauch befeuchteten, und sagte, sie wolle allein bleiben, und wir sollten ihren Mann holen gehen, denn sie müsse ihm alles gestehen. Es war schwierig, Azalea zu überreden, niemanden zu holen. Die Briefe verbrannten wir auf dem Herd in der Küche, während Ottavia mir Stücke daraus vorlas, bevor sie sie ins Feuer warf, und die Kinder ließen das verkohlte Papier im ganzen Raum herumwirbeln. Als Azaleas Mann zurückkam, sagte ich ihm, Azalea sei krank und habe Fieber, und er ging dann einen Arzt holen.
    Als ich nach Hause zurückkehrte, war es Nacht, und mein Vater fragte mich, wo ich gewesen sei. Ich antwortete, Azalea habe mich zu sich gerufen, und Giovanni sagte, daß es wahr sei. Mein Vater sagte, es könne auch wahr sein, aber er wisse es nicht, man habe ihm hinterbracht, daß ich mit dem Sohn des Doktors durch die Gegend liefe, und wenn das wahr sei, werde er mich windelweich schlagen. Ich antwortete, das sei mir egal, ich machte sowieso, was mir paßte, doch dann wurde ich wütend und schüttete die Suppe auf den Fußboden. Ich schloß mich in mein Zimmer ein und weinte zwei oder drei Stunden lang, bis Giovanni mir durch die Wand zuschrie, ich solle still sein und sie schlafen lassen, sie seien nämlich müde. Aber ich weinte immer weiter, und Nini kam an die Tür und sagte, wenn ich ihm öffnen würde, gäbe er mir Pralinen. Daraufhin öffnete ich, und Nini führte mich vor den Spiegel, damit ich sehen konnte, wie verheult mein Gesicht war, und er gab mir wirklich Pralinen und sagte, die habe ihm seine Verlobte geschenkt. Ich fragte, wie diese Verlobte sei und warum er sie mir nicht zeige, und er sagte, sie habe Flügel und einen Schwanz und eine Nelke im Haar. Ich sagte zu ihm, ich hätte auch einen Verlobten, und das sei der Sohn des Doktors, und er antwortete: »Ausgezeichnet«, doch dann machte er ein seltsames Gesicht und stand auf, um zu gehen. Da fragte ich ihn, wo er den Grappa versteckt hätte. Er wurde rot und lachte und sagte, das seien Dinge, die eine Signorina nichts angingen.
    Am nächsten Abend kam Nini nicht nach Hause. Auch an den folgenden Tagen kam er nicht, und man sah Ninis Gesicht so lange nicht mehr, daß es sogar meinem Vater auffiel, der doch immer zerstreut war, und er fragte, wo der Nini abgeblieben sei. Giovanni sagte, daß es ihm gutgehe, er aber vorerst nicht nach Hause käme. Mein Vater sagte:
    »Solange es ihnen gefällt, kommen sie, dann finden sie was Besseres und guten Tag. Alle gleich, die Kinder, die eigenen und die anderen.«
    Aber später erzählte mir Giovanni, daß der Nini jetzt bei seiner Hübschen wohne, die Witwe sei, aber jung, und Antonietta heiße.
    Daraufhin ging ich extra in die Stadt, um den Nini zu suchen und zu erfahren, ob es wirklich stimmte. Ich fand ihn mit Giovanni im Café beim Eisessen. Ich setzte mich zu ihnen und bekam auch ein Eis gebracht, und wir blieben eine ganze Weile dort sitzen und hörten der Musik zu, und Nini bezahlte für alle wie ein großer Herr. Ich fragte ihn, ob es stimme, das mit der Witwe. Er sagte, ja, es stimme, und warum ich ihn nicht einmal besuchen käme in seiner kleinen Wohnung, wo er mit Antonietta und ihren beiden Kindern lebte, einem Jungen und einem Mädchen. Und er sagte noch, daß Antonietta einen Laden für Schreibwaren und Füllfederhalter habe und recht wohlhabend sei.
    »Also läßt du dich jetzt aushalten«, sagte ich zu ihm.
    »Aushalten? Wieso? Ich verdiene.« Und er sagte mir, er bekomme einen ziemlich guten Lohn als Arbeiter in der Fabrik und rechne damit, bald auch ein bißchen Geld nach Hause zu schicken.
    Ich erzählte Giulio von Nini, während wir in der Pineta rauchten, und sagte, daß ich ihn eines Tages besuchen würde.
    »Du darfst nicht hingehen«, sagte Giulio zu mir.
    »Warum?«
    »Gewisse Dinge verstehst du nicht, dafür bist du noch zu jung.«
    Ich antwortete, von wegen, zu jung, ich sei kein Kind mehr, sondern siebzehn Jahre alt, und mit siebzehn habe meine Schwester Azalea geheiratet. Doch er wiederholte, ich könne das nicht verstehen, und ein
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