Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Straße in die Stadt

Die Straße in die Stadt

Titel: Die Straße in die Stadt
Autoren: Natalia Ginzburg
Vom Netzwerk:
hatte.
    Als wir uns bergab auf den Rückweg machten, war es spät, aber ich fühlte mich so müde, daß ich fast nach jedem Schritt stehenbleiben mußte, bis Giulio mir am Ende der Pineta sagte, er müsse vorauslaufen, sonst käme er zu spät heim und seine Mutter erschreckte sich. So ließ er mich allein, und ich stolperte beim Gehen über alle Steine, und es wurde dunkel, und meine Knie schmerzten.
    Am nächsten Tag kam Azalea nach Hause. Ich begleitete sie ein Stück und sagte ihr, was vorgefallen war. Anfangs glaubte sie mir nicht und dachte, ich täte nur so, um anzugeben, doch plötzlich blieb sie stehen und sagte:
    »Ist es wahr?«
    »Es ist wahr, es ist wahr, Azalea«, sagte ich zu ihr, und daraufhin ließ sie sich alles noch einmal von vorn erzählen. Sie war so erschrocken und wütend, daß sie sich die Gürtelschnalle abriß. Sie wollte ihren Mann unterrichten, damit er es meinem Vater sagte. Ich sagte, sie solle sich hüten, und übrigens wisse ich auch schöne Sachen über sie. Wir stritten, und am nächsten Tag ging ich eigens in die Stadt, um Frieden zu schließen, aber mittlerweile hatte sie sich beruhigt, und als ich ankam, probierte sie gerade ein neues Ballkleid, weil sie eine Einladung erhalten hatte. Sie sagte, ich solle ruhig machen, was zum Teufel ich wolle, wenn nur dann niemand käme, um sie zu belästigen, und übrigens gefiele ihr der Sohn des Doktors überhaupt nicht, er komme ihr sehr grob vor. Als ich wegging, sah ich Giovanni mit Nini und Antonietta, und wir badeten alle zusammen im Fluß, nur Antonietta, die nicht schwimmen konnte, blieb im Boot sitzen. Ich hängte mich an das Boot und tat so, als wollte ich es umkippen, um sie zu erschrecken, aber dann wurde mir kalt, und ich kletterte wieder hinein und begann zu rudern. Antonietta erzählte mir von ihrem Mann und seiner Krankheit, von den Schulden, die er hinterlassen hatte, und den Rechtsanwälten und den Prozessen. Ich langweilte mich und fand sie komisch, wie sie in dem Boot saß, als sei sie zu Besuch, mit aneinandergepreßten Knien und Handtasche und Hut.
    An jenem Abend kam Giovanni in mein Zimmer, um mir zu sagen, daß er sich in Antonietta verliebt habe und nicht wisse, ob er es dem Nini sagen solle, und auch nicht wisse, wie er es machen solle, damit es vorbeigehe, und dabei wanderte er auf und ab, die Hände in den Taschen. Aber ich behandelte ihn schlecht und sagte zu ihm, ich hätte diese ganzen Liebesgeschichten satt, und Azalea und Nini und auch ihn, und sie sollten mich in Ruhe lassen. »Verflucht sei die Mutter, die dich geboren hat«, sagte er zu mir, ging und knallte die Tür hinter sich zu.

 

     
     
-

    G
    iulio sagte zu mir, zum Baden am Fluß müsse ich mit ihm gehen, und auch in die Stadt müsse ich mit ihm gehen, damit wir uns beide zusammen amüsierten. Und ich ging, und wir schwammen im Fluß und aßen Eis, und dann brachte er mich in ein Zimmer in einem bestimmten Hotel, das er kannte. Das Hotel hieß Le Lune: Es lag am Ende einer alten Straße, und mit seinen geschlossenen Fensterläden und seinem verlassenen Vorgärtchen wirkte es auf den ersten Blick wie eine unbewohnte Villa. Aber in den Zimmern gab es eine Waschschüssel und einen Spiegel und Teppiche auf dem Boden. Ich erzählte Azalea, daß wir ins Hotel gegangen waren, und sie sagte, früher oder später werde mir noch was Schönes passieren. Doch Azalea sah ich jetzt selten, denn sie hatte einen anderen Geliebten gefunden, der ein mittelloser Student war, und sie hatte alle Hände voll damit zu tun, ihm Handschuhe und Schuhe zu kaufen und ihm zu essen zu bringen.
    Eines Abends trat mein Vater in mein Zimmer, warf seinen Regenmantel aufs Bett und sagte zu mir:
    »Ich hatte gesagt, daß ich dir den Schädel einschlage.«
    Er packte mich an den Haaren und fing an, mich zu ohrfeigen, während ich schrie: »Hilfe, Hilfe!« Bis atemlos meine Mutter herbeikam, die Schürze voller Kartoffeln, und fragte:
    »Aber was ist denn passiert, was machst du mit ihr, Attilio?«
    Mein Vater sagte zu ihr:
    »Das mußten wir erleben, wir Unglücklichen«, und er setzte sich hin, war ganz blaß und strich sich mit den Händen über den Kopf. Ich hatte eine blutende Lippe und rote Striemen am Hals, mir war schwindlig, und ich konnte mich kaum aufrecht halten, und meine Mutter wollte mir helfen, das Blut zu stillen, aber mein Vater nahm sie am Arm und schob sie hinaus. Er ging ebenfalls, und sie ließen mich allein. Der Regenmantel meines Vaters war auf dem Bett
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher