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Die Straße in die Stadt

Die Straße in die Stadt

Titel: Die Straße in die Stadt
Autoren: Natalia Ginzburg
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liegengeblieben, und ich nahm ihn und warf ihn auf die Treppe. Während alle bei Tisch saßen, verließ ich das Haus. Die Nacht war sternenklar. Ich zitterte vor Aufregung und vor Kälte, und meine Lippe blutete immer noch, ich hatte Blut auf dem Kleid und sogar auf den Strümpfen. Ich nahm die Straße zur Stadt. Ich wußte selbst nicht, wohin ich ging. Anfangs sagte ich mir, ich könnte zu Azalea gehen, aber ihr Mann wäre dagewesen, der hätte mir sofort Fragen gestellt und zu predigen angefangen. Also ging ich statt dessen zu Nini. Ich fand sie alle um den Tisch im Eßzimmer versammelt, wo sie Mensch-ärgere-dich-nicht spielten. Sie sahen mich erstaunt an, und die Kinder fingen an zu schreien. Da warf ich mich aufs Sofa und begann zu weinen. Antonietta holte ein Desinfektionsmittel, um meine Lippe abzutupfen, dann ließen sie mich eine Tasse Kamillentee trinken und machten mir ein Bett auf einer Liege im Flur. Nini sagte zu mir:
    »Jetzt erklär uns mal, was dir passiert ist, Delia.«
    Ich sagte zu ihm, daß sich mein Vater auf mich gestürzt hatte und mich umbringen wollte, weil ich mit Giulio zusammen war, und daß sie mir eine Arbeit suchen und mich in die Stadt holen müßten, weil ich es zu Hause nicht mehr aushalten konnte.
    Nini sagte:
    »Zieh dich nur aus und leg dich ins Bett, dann komme ich zu dir, und wir überlegen, wie es gehen kann.«
    Sie gingen alle hinaus, und ich zog mich aus und schlüpfte ins Bett, in einem zartlila Nachthemd von Antonietta. Nach einer Weile kam Nini, setzte sich zu mir ans Bett und sagte:
    »Wenn du willst, suche ich dir eine Stelle in der Fabrik, wo ich arbeite. Am Anfang wird es dir schwierig erscheinen, weil du groß und dick aufgewachsen bist, ohne je einen Finger zu rühren. Aber nach und nach wirst du dich daran gewöhnen. Wenn ich in der Fabrik nichts finde, kannst du als Dienstmädchen anfangen.«
    Ich sagte ihm, daß ich keine Lust hätte, als Dienstmädchen zu arbeiten, und lieber in die Fabrik ginge, und ich fragte ihn, warum ich nicht zum Beispiel als Blumenverkäuferin arbeiten, mich mit Körben voll Blumen auf die Kirchenstufen setzen könne. Er sagte:
    »Sei still und red keine Dummheiten. Außerdem kannst du nichts verkaufen, weil du nicht rechnen kannst.«
    Da sagte ich ihm, daß Giulio mich nach seinem Staatsexamen heiraten würde.
    »Schlag dir das aus dem Kopf«, erwiderte er.
    Und er teilte mir mit, daß Giulio eine Verlobte in der Stadt hatte, und in der Stadt wußten es alle: Sie war ein dünnes Mädchen, das Auto fuhr. Ich begann wieder zu weinen, und Nini sagte zu mir, ich solle mich hinlegen und schlafen, und brachte mir noch ein Kopfkissen, damit ich es bequem hatte.
    Am nächsten Morgen zog ich mich an und ging mit ihm in die kühle, menschenleere Stadt hinaus. Er begleitete mich bis zur Stadtgrenze. Wir setzten uns ans Flußufer und warteten, bis es für ihn Zeit wurde, in die Fabrik zu gehen. Er sagte mir, daß er ab und zu Lust verspüre, nach Mailand zu gehen, um sich in irgendeiner großen Fabrik Arbeit zu suchen.
    »Aber erst mußt du mit Antonietta Schluß machen.«
    »Selbstverständlich, du wirst doch nicht meinen, daß ich sie mitschleppe samt Laden und den beiden Gören.«
    »Dann hast du sie also nicht lieb«, sagte ich.
    »Doch, aber nur so. Wir bleiben zusammen, solange es uns Spaß macht, dann trennen wir uns in Ruhe und Frieden, und guten Tag.«
    »Dann gib sie Giovanni, der ist ganz verrückt nach ihr«, sagte ich zu ihm, und er lachte:
    »Ach ja, Giovanni? Übrigens ist sie gar nicht so übel, die Antonietta, sie ziert sich ein bißchen, aber schlecht ist sie nicht. Aber ich bin nicht verliebt.«
    »In wen bist du dann verliebt?« fragte ich ihn, und plötzlich ging mir durch den Kopf, er sei vielleicht in mich verliebt. Er sah mich lachend an und sagte:
    »Muß man denn unbedingt jemanden lieben? Kann man nicht niemanden lieben und sich für was anderes interessieren?«
    Ich klapperte mit den Zähnen und war starr vor Kälte in meinem dünnen Kleid.
    »Du frierst, mein Schatz«, sagte er zu mir. Er zog seine Jacke aus und legte sie mir um die Schultern.
    Ich sagte zu ihm:
    »Wie zärtlich du bist.«
    »Warum soll ich nicht zärtlich zu dir sein«, sagte er, »du bist so ein armes Mädchen, daß du mir leid tust. Glaubst du, ich wüßte nicht, daß du ganz schön in der Patsche sitzt mit diesem Giulio. Ich ahne es, weil ich dich kenne, und außerdem hat Azalea es mir erzählt.«
    »Das ist nicht wahr«, sagte ich zu ihm, doch er
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