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Die Straße in die Stadt

Die Straße in die Stadt

Titel: Die Straße in die Stadt
Autoren: Natalia Ginzburg
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Hut, mit kaputten und zu weiten Schuhen, die er beim Gehen nachzog, und schmutzig und müde aussah, da bereute ich, daß ich ihn abholen gekommen war, und schämte mich seiner. Er bemerkte es und war beleidigt und wurde wütend, weil ich sagte, ich langweilte mich zu Tode mit der Alten.
    Doch als wir am Flußufer saßen, heiterte er sich nach und nach auf und erzählte mir, daß er in Antoniettas Schublade eine Photographie von Giovanni mit Widmung hintendrauf gefunden habe.
    »Besser so«, sagte er zu mir.
    »Besser so? Wieso besser so?«
    »Was zum Teufel soll mir das ausmachen?«
    »Du bist kalt wie ein Fisch. Ekelhaft.«
    »Ich bin ein Fisch, na gut. Und was bist du?« Er sah mich eine Weile an und sagte dann: »Du bist ein armes Mädchen.«
    »Warum?«
    »Ist es wahr, daß du ins Le Lune mitgegangen bist?«
    »Woher weißt du das?« fragte ich.
    »Das hat mir mein kleiner Finger gesagt«, antwortete er, »bist du öfter dort gewesen?«
    »Das geht dich gar nichts an«, sagte ich.
    »Armes Mädchen! Armes Mädchen!« wiederholte er halblaut, wie zu sich selbst.
    Ich wurde ärgerlich und hielt ihm mit der Hand den Mund zu. Da umarmte er mich, warf mich hintüber und küßte und küßte mein Gesicht, die Ohren, die Haare.
    »Spinnst du, Nini? Was machst du da?« sagte ich, und ein bißchen mußte ich lachen, ein bißchen hatte ich Angst.
    Er setzte sich auf, strich sich über die Haare und sagte zu mir:
    »Da siehst du, was du bist. Jeder kann sich mit dir vergnügen, solange es ihm gefällt.«
    »Und jetzt wolltest du mal wissen, ob ich so bin, wie du behauptest?«
    »Nein, denk nicht mehr daran, ich hab’s nicht ernst gemeint«, sagte er zu mir.
    An jenem Abend wartete Giulio an der Straße auf mich.
    »Wo bist du die ganze Zeit gewesen?« fragte ich ihn.
    »Im Bett, mit Fieber«, antwortete er und wollte meinen Arm nehmen. Doch ich sagte zu ihm, er solle abhauen und mich in Ruhe lassen, denn ich wüßte längst, daß er eine Verlobte hätte.
    »Was für eine Verlobte? Wer soll das denn sein?«
    »Eine mit Auto.«
    Er begann, laut zu lachen, und schlug sich mit der Hand aufs Knie.
    »Die Leute erfinden eine Menge Blödsinn«, sagte er, »und du schluckst es. Sei nicht dumm und komm morgen nach dem Mittagessen in die Pineta.«
    Doch ich sagte ihm, daß ich nach dem Mittagessen nicht mehr frei war, und erzählte ihm von der Alten.
    »Dann komm am Morgen«, sagte er.
    Ich drehte mein Gesicht weg und wollte mich nicht anschauen lassen, weil ich fürchtete, man würde es mir ansehen, daß Nini mich geküßt hatte.
    Am nächsten Morgen in der Pineta fragte er mich ununterbrochen, wer mir das mit der Verlobten erzählt habe.
    »Ich habe viele Feinde«, sagte er zu mir, »es gibt so viel Neid auf der Welt.«
    Er quälte mich eine Weile, bis ich ihm sagte, daß es Nini gewesen war.
    »Wenn ich den Nini treffe, kriegt er was zu hören«, sagte er zu mir. Dann begann er mich aufzuziehen, weil ich die Alte spazierenführte, und ärgerte mich.
    Ich holte Nini wieder an der Fabrik ab. Aber er war böse auf mich, weil die Verwandten der Alten sich bei Antonietta beschwert hatten, daß ich immer zu spät käme.
    »Nie kann man sich auf dich verlassen«, sagte er, »mach nur so weiter, da wirst du es noch weit bringen.
    Zum Glück haben sie dich nicht genommen in der Fabrik.«
    Ich sagte ihm, ich hätte die Alte satt und wolle nicht mehr hingehen.
    »Geh wenigstens noch bis zum Monatsende hin, damit sie dir das Gehalt auszahlen. Und gib das Geld deiner Mutter, weil die Kleinen Schuhe brauchen werden.«
    »Ich werde es behalten«, sagte ich.
    »Sehr gut, so ist’s recht. Denk immer ausschließlich an dich. Kauf dir irgendeinen Fetzen zum Anziehen und amüsier dich. Mir ist es sowieso egal.«
    Er wollte nicht an den Fluß gehen und machte sich auf den Heimweg. Wir fanden Antonietta, wie sie gerade den Laden schloß. Sie war sehr aufgebracht und sagte zu mir, wenn sie gewußt hätte, wie ich bin, hätte sie mich nicht empfohlen. Wie schlecht sie jetzt meinetwegen dastehe. Zu der Alten käme ich immer zu spät und ginge immer viel früher weg, und wenn ich ihr die Zeitung vorläse, täte ich nichts als lachen und absichtlich die Wörter verdrehen. Sie grüßte mich kaum und ging mit Nini davon. Während ich nach Hause zurückkehrte, fühlte ich mich müde und traurig. Seit einigen Tagen war mir gar nicht gut, ich empfand so etwas wie Übelkeit und aß nichts mehr, sogar der Geruch der Speisen ekelte mich. ›Was hab ich bloß?
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