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Die Straße in die Stadt

Die Straße in die Stadt

Titel: Die Straße in die Stadt
Autoren: Natalia Ginzburg
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hatte Schüttelfrost. ›Azalea ging es genauso‹, erinnerte ich mich. ›Morgen sage ich es Giulio. Er muß es doch erfahren‹, dachte ich. ›Aber was sollen wir bloß machen? Was wird er tun? Ist es denn möglich, daß es wirklich wahr ist?‹ Aber ich wußte, daß es bestimmt wahr war. Ich konnte nicht schlafen und warf die Decken fort, setzte mich mit klopfendem Herzen im Bett auf. Was hätte Nini gesagt, wenn er es erfahren hätte. Einmal war ich drauf und dran, es ihm zu sagen, aber dann schämte ich mich.
    Am Morgen traf ich Giulio im Dorf. Er blieb nur einen Moment bei mir, weil er mit seinem Vater auf die Jagd gehen mußte.
    »Du siehst schlecht aus«, sagte er zu mir.
    »Weil ich nicht geschlafen habe«, antwortete ich.
    »Ich hoffe, ich schieße einen schönen Hasen«, sagte er zu mir. »Ich habe richtig Lust, mir ein bißchen im Wald die Füße zu vertreten.«
    Er betrachtete die Wolken, die langsam auf den Hügel zuschwammen.
    »Hasenwetter«, sagte er.
    An jenem Tag ging ich nicht zu der Alten. Nachdem ich allein durch die Stadt gestrolcht war, klingelte ich bei Azalea. Aber sie war ausgegangen. Ottavia stand in der Küche und bügelte. Sie hatte eine weiße Schürze vorgebunden und trug keine Pantoffeln. Alles änderte sich im Haus, wenn Azaleas Angelegenheiten gut liefen. Auch die Kinder schienen zugenommen zu haben. Ottavia sagte mir, während sie mit dem Bügeleisen über einen Büstenhalter von Azalea fuhr, jetzt gehe alles gut und Azalea sei immer zufrieden. Der Student sei nicht wie der andere. Er vergesse nie anzurufen. Mache immer, was Azalea wolle, und habe nicht einmal seine Eltern besucht, die verreist seien, weil Azalea es ihm nicht erlaubt habe. Man müsse nur darauf achten, daß der ›gnädige Herr‹ nichts merke. Man müsse sehr aufpassen. Sie bat mich, Azaleas Rückkehr abzuwarten, um ihr zu sagen, sie solle aufpassen.
    Ich wartete eine Weile, doch Azalea kam nicht, und ich ging fort. Es war die Zeit, zu der Nini aus der Fabrik kam. Aber ich machte mich langsam auf den Heimweg. Es regnete. Durchnäßt kam ich zu Hause an und legte mich sofort ins Bett, das Gesicht unter dem Laken verborgen. Ich sagte meiner Mutter, mir sei nicht gut und ich wolle nichts essen.
    »Eine kleine Erkältung«, sagte meine Mutter.
    Am nächsten Morgen kam sie in mein Zimmer, berührte mein Gesicht und sagte, ich hätte kein Fieber. Und sie sagte, ich solle aufstehen und ihr beim Treppenputzen zur Hand gehen.
    »Ich kann nicht aufstehen«, antwortete ich, »mir ist schlecht.«
    »Ach, so machst du das«, sagte sie, »spielst jetzt die Kranke. Aber wer hier noch krank wird, das bin ich, weil ich von früh bis spät für euch schufte, bis mir die Arme abfallen. Wenn ich den Teller nehme, kann ich nicht mal mehr essen, so müde fühle ich mich. Und du findest es lustig, mich krepieren zu sehen.«
    »Ich kann nicht aufstehen, ich habe es dir gesagt. Es geht mir schlecht.«
    »Aber was ist denn?« sagte meine Mutter zu mir und schob das Laken weg, um meine Augen zu sehen. »Es ist dir doch nichts passiert?«
    »Ich bin schwanger«, sagte ich zu ihr. Mein Herz klopfte heftig, und zum ersten Mal merkte ich, daß ich Angst davor hatte, was meine Mutter tun würde. Doch sie war gar nicht erstaunt. Still saß sie auf dem Bett und zog mir die Decke über die Füße.
    »Bist du ganz sicher?« fragte sie.
    Ich nickte weinend mit dem Kopf.
    »Wein nicht«, sagte meine Mutter, »wirst sehen, daß sich alles einrenkt. Weiß es der junge Mann?«
    Ich schüttelte den Kopf.
    »Du hättest es ihm sagen müssen, dummes Ding. Aber jetzt werden wir alles anständig in Ordnung bringen. Ich werde rübergehen und mir das Gesindel vorknöpfen. Die werden unsere Meinung zu hören kriegen.« Sie bedeckte sich den Kopf mit dem Schal und ging. Kurz darauf kehrte sie ganz fröhlich zurück, mit gerötetem Gesicht.
    »Dieses Gesindel«, sagte sie zu mir, »aber es ist geschafft. Wir brauchen nur etwas zu warten. Der junge Mann soll zuerst sein Examen machen. Das wollen sie. Jetzt muß nur Attilio ruhig bleiben. Aber dafür sorge ich. Deine Mutter sorgt dafür. Bleib du nur schön warm im Bett« – und sie brachte mir eine Tasse Kaffee. Dann nahm sie den Eimer und putzte die Treppe, und ich hörte sie allein vor sich hin lachen. Aber nach kurzer Zeit stand sie wieder vor mir.
    »Der junge Mann gefällt mir«, sagte sie, »es ist die Mutter, die mir nicht paßt. Der Vater war sofort einverstanden, hat gesagt, er sei bereit, für den Sohn
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