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Die Straße in die Stadt

Die Straße in die Stadt

Titel: Die Straße in die Stadt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Natalia Ginzburg
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Nini«, sagte er, »er hat drei Stunden vor der Fabrik auf dich gewartet. So viele Tage wartet er jetzt schon auf dich, sagt er. ›Sie ist krank‹, habe ich ihm geantwortet.«
    Ich probierte, den Roman zu lesen, aber dann gab ich es auf. Es war die Geschichte von zweien, die ein Mädchen umbrachten und es dann in eine Truhe sperrten. Ich legte das Buch weg, weil es mir angst machte und weil ich das Lesen nicht gewöhnt war. Nachdem ich eine Weile gelesen hatte, vergaß ich, was davor gestanden hatte. Ich war nicht wie Nini. Für mich ging die Zeit trotzdem herum. Ich hatte mir das Grammophon ins Zimmer stellen lassen und hörte zu, wie die heisere Stimme immer wieder sang:
     
    Samtweiche Händeee
    Duftende Händeee
     
    Sang da ein Mann oder eine Frau? Man wußte es nicht recht. Aber ich hatte mich an die Stimme gewöhnt, und es gefiel mir, sie zu hören. Ich hätte kein anderes Lied gewollt. Jetzt wollte ich nichts Neues mehr. Ich zog jeden Morgen dasselbe Kleid an, ein altes, abgetragenes Kleid, das schon überall geflickt war. Aber Kleider interessierten mich jetzt nicht mehr.

 

     
     
-

    A
    ls der Nini vor mir stand, am Sonntagmorgen, während meine Mutter in der Kirche war, verstimmte es mich, daß er gekommen war. Die vom Regen tropfenden Blumen, die er in der Hand hielt, seine regennassen Haare, sein aufgeregtes, lächelndes Gesicht, alles sah ich an wie etwas Dummes, das ich nicht kannte.
    »Mach die Tür zu«, sagte ich wütend zu ihm.
    »Habe ich dich erschreckt, hast du geschlafen? Hier sind Blumen«, sagte er, indem er sich zu mir setzte. »Wie geht es dir? Bist du wieder gesund? Was ist? Dein Gesicht ist so seltsam geworden.«
    »Es geht mir schlecht«, sagte ich. Ich merkte, daß er noch nichts wußte.
    »Schmal und häßlich ist dein Gesicht geworden«, sagte er zu mir. »Es tut dir nicht gut, hier im Zimmer zu hocken. Du solltest ein bißchen an die Luft gehen. Ich warte immer an der Fabrik auf dich. Denke: Vielleicht geht es ihr heute gut und sie kommt. Wirst du mich wieder abholen, wenn du gesund bist?«
    »Ich weiß nicht.«
    »Wieso, ich weiß nicht? Was für ein Ton! Die Krankheit hat dir den Charakter verdorben. Sag mir, ob du wieder kommen wirst oder ob du nicht mehr kommen wirst.«
    »Sie lassen mich nicht aus dem Haus«, antwortete ich.
    »Wie, sie lassen dich nicht aus dem Haus?«
    »Weil sie nicht wollen, daß ich mit Giulio gehe. Und mit dir auch nicht, sie wollen nicht, daß ich mit Jungen gehe.«
    »Gut«, sagte er, »gut.«
    Er begann, im Zimmer auf und ab zu gehen.
    »Du erzählst mir einen Haufen Lügen«, sagte er plötzlich, »es muß ein System sein, das du erfunden hast, um mich zum Teufel zu schicken. Wie es dir Spaß macht, mich leiden zu sehen! Wie du es genießt! Ich kann nicht mehr arbeiten, ich kann nichts tun. Den ganzen Tag denke ich nur an dich. Das wolltest du doch, stimmt’s? Daß ich mir das Leben vergifte?« Er sah mich mit funkelnden, bösen Augen an. »Es ist dir gelungen«, sagte er zu mir.
    »Es liegt mir gar nichts daran, dich leiden zu lassen«, sagte ich zu ihm. Ich setzte mich im Bett auf. »Mag sein, daß es mir einmal Spaß machte, wie du sagst. Aber jetzt, was soll mir jetzt noch daran liegen. Jetzt habe ich andere Sorgen. Ich bekomme ein Kind.«
    »Das ist es?« sagte er und wirkte nicht erstaunt. Doch seine Stimme klang wie erloschen. Er legte mir die Hand auf die Schulter. »Oh, armes Mädchen! Armes Mädchen!« sagte er. »Was wirst du tun?«
    »Ich weiß nicht«, antwortete ich.
    »Wird er dich heiraten?«
    »Ich weiß nicht. Ich weiß gar nichts. Aber sie haben mit ihm gesprochen. Vielleicht heiratet er mich, wenn er mit dem Studium fertig ist.«
    »Weißt du, daß ich dich liebhabe?« fragte er mich.
    »Ja«, sagte ich.
    »Vielleicht hättest du mich auch liebgewonnen, nach und nach«, sagte er zu mir. »Aber es hat keinen Zweck, daß wir jetzt darüber sprechen. Wenn man darüber spricht, tut es noch mehr weh. Es ist aus. Siehst du, ich sitze hier neben dir, aber mir fällt nichts mehr ein, was ich dir sagen könnte. Ich würde gern etwas für dich tun, um dir zu helfen, aber gleichzeitig ist mir danach, wegzugehen und nie mehr etwas über dich zu hören.«
    »Dann geh doch«, sagte ich zu ihm und fing an zu weinen.
    »Wie froh ich war«, sagte er, »ich sagte mir, nach und nach würdest du dich auch verlieben. Manchmal dachte ich so, aber manchmal bekam ich Angst, ich hätte dich zu sehr lieb. Ich sagte: Sie wird mich niemals liebhaben, es

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